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Sinfonisches Feuerwerk setzt die Philharmonie in Flammen

Sergiu Celibidache und die Münchner Philharmoniker in Berlin

Mit welchem Orchester auch immer er aufkreuzt - und das geschah leider Gottes im Verlauf der Jahre selten genug: Sergiu Celibidache ist Berlin immer willkommen. Die Liebe der Stadt zu ihm ist niemals erloschen. Celibidache war es schließlich, der junge feurige Unbekannte, schmal und blass und wie verzehrt von Musikalität, der dem Berliner Philharmonischen Orchester 1945 durch sein künstlerisches Beispringen zum Überleben verhalf.
 Hoffentlich erinnert sich das Orchester jetzt zu seinem 100jährigen Bestehen daran, zeichnet seinen heroischsten Dirigenten nachdrücklich aus und versucht, sich mit ihm zu versöhnen. Auch eine spezielle Auszeichnung Celibidaches durch den Senat von Berlin wäre aus gleichem Anlass jedermann fraglos von Herzen willkommen.
 In seinem ersten Konzert zu den Berliner Festwochen an der Spitze seiner Münchener Philharmoniker, die sich unter seiner Leitung auf einer großen Deutschland-Tournee befinden, setzte Celibidache die Philharmonie buchstäblich in Flammen wie vormals den wackligen Titania-Palast in Steglitz, Ausweichquartier der Philharmoniker in den Nachkriegsjahren. Das Münchener Orchester zeigte sich unter Celibidache auf die glänzendste Art disponiert. Weit hinter dem berühmten Berliner steht es künstlerisch ganz gewiss nicht zu rück. Es entwickelt den betörenden, charakteristischen Celibidache-Klang.
 Celibidache begann sein Konzert mit Mendelssohn Bartholdys „Italienischer" Sinfonie. Er beschloss es mit Respighis „Die Pinien von Rom". Dazwischen ließ er Richard Straussens „Don Juan" sich verschwärmen: ein Programm wie ein sinfonisches Feuerwerk, das man geneigt gewesen sein könnte, ruchlos zu nennen. Das aber war es gerade nicht.
 Celibidache gelang das Ungewöhnliche: Er adelte das von ihm geprägte Jubelprogramm derart, dass es das Publikum mit ehrlich begeistertem Beifall quittierte. Die Showstücke des Hörens, Straussens wie Respighis sinfonische Dichtungen, bekamen einen Zug von echter musikalischer Poesie.
 Zweimal Italien also in Celibidaches Programm: Mendelssohns Romantik wie mit weichstem Pinsel gezeichnet, voller kammermusikalischer Reize, in vergleichsweise kleiner, unbombastischer Besetzung gespielt. Celibidache lieferte eine sehr versonnene Wiedergabe in Herbstfarben: braunstichiges Kolorit, gedämpfte hornselige Delikatesse.
 Von ihr hob sich natürlich um so effektvoller Respighis breitmündiges Tonpoem ab: ein Cinemacope Italien voller Glitzermusik, die Celibidache mit außerordentlicher Gourmandise zu beleben verstand. Freilich auch hier: Am prachtvollsten entfaltete sich Celibidaches ungewöhnlicher Sensualismus gerade an den stillsten Stellen.
 Die beiden weitschwingenden Lento-Passagen wuchsen unter seiner Hand auf zu betörenden Stimmungsbildern voller feinster Reize. Sie auch lieferten den Nachweis, wie glänzend die Münchener auf ihren Chefdirigenten einzugehen verstehen. Sie bilden ein Orchester von bestechender Nuancierfähigkeit, das nicht nur musikalisch dreinzuhauen weiß, wenn es wie Strauss an die Vorbereitung rauschhafter Steigerungen geht, sondern auch den in sich kreisen den musikalischen Stillstand durch winzige instrumentale Ein würfe zu einem Paradestück für Orchesterkultur zu organisieren vermag.

Klaus Geitel