Sergiu Celibidache
Peter Michael Hamel
Peter Michael
Hamel im Gespräch mit dem Musikjounalisten Frank
Stepanek
Der Komponist Peter
Michael Hamel (geb. 1947, München) studierte u.a.
bei Fritz Büchtger und Günter Bialas. Später war
er Schüler von Sergiu Celibidache. Er komponierte
zahlreiche Werke für Orchester, Kammermusik und
zwei Opern. Durch die Auseinandersetzung mit östlichen
Philosophien - er verfasste das Buch Durch Musik
zum Selbst (1976) - und der Anthroposophie, kommt
Hamel zu besonderen Erklärungsansätzen zum Verhältnis
von Musik und elektronischen Medien.
Sergiu Celibidache
Frank Stepanek:
Über Ihren Kompositionslehrer Günter Bialas sind
Sie 1984 zu Sergiu Celibidache gekommen, bei dem
Sie Phänomenologie und Instrumentation studierten.
Celibidache behauptete, er höre auf der Schallplatte
ganz andere Töne als während des Konzertes. Können
Sie das bestätigen?
Peter Michael Hamel: Celi wurde auf mich aufmerksam, weil ihm eine Partitur von mir sehr gefiel. Dann rief er bei mir an: "Kommen Sie zu mir in die Probe, dann werden Sie hören, wie man Musik entstehen lässt." Dann probte er eine längere Zeit dieses Streichergeflirre vom Anfang der vierten Sinfonie von Bruckner. Schließlich hörte man in den ganz hohen Bereichen, circa drei Oktaven höher, eine Art Resonanz. Daran kann ich mich noch deutlich erinnern. Diese Töne sind auf einer Platte nicht zu hören, wahrscheinlich, weil das Mikrophon sie nicht einfangen kann.
Später führte Celi Sinfonie Lichtung von mir auf, er lernte sie sogar auswendig. Ich wurde nachhaltig von der Hingabe dieses Mannes an meine Musik geprägt und kam so wieder verstärkt auf das reine "akustische" Komponieren mit "fünf Linien", sprich: mit Noten.
Celibidache ist
bekannt für seine radikale und konsequente medienfeindliche
Haltung ...
Privat gab es auch
andere Seiten: Er fragte mich nach beiden von ihm
dirigierten Aufführungen meiner Lichtung nach der
frisch aufgenommenen Kassette. Sie interessierte
ihn besonders, weil sie mit einer besonderen Technik
aufgenommen wurde. Diese Kassette wollte er nicht
für sich, sondern für seinen Sohn haben. Nachdem
ich sie ihm gab, hat er sie wirklich so schnell
verschwinden lassen, als wäre sie etwas ganz Böses
und Dämonisches. Sein Sohn studiert übrigens witzigerweise
- Ironie des Schicksals - Computer- und Filmtechnologie
in den USA.
Celis Aversion gegenüber den technischen Medien hat sicher auch mit seiner menschlichen und beruflichen Entwicklung zu tun. - Zunächst hieß es, Celibidache werde der Nachfolger von Furtwängler als Leiter der Berliner Philharmoniker; denn er ist ja genial, er lernte ja wirklich alles auswendig. Von Karajan war anfangs noch nicht die Rede. Dann haben die Berliner aber wohl gemerkt, dass Karajan ihnen die Schallplatten-"Mucken" besorgt, hauptsächlich über die Deutsche - Grammophon - Gesellschaft. Deshalb wurde Karajan 1955 Leiter der Berliner Philharmoniker.
Das war der entscheidende Einschnitt in der Karriere von Celibidache und gleichzeitig der Beginn seiner geistigen Reise. - Im nachhinein stellt es sich für ihn also heraus, dass es sehr gut war, dass er nicht Furtwänglers Nachfolger geworden ist.
Celibidache vertritt
die Meinung, dass die Schallplatte keine Musik festhalten
kann. Was meinen Sie dazu?
Es gibt keine Wirklichkeit,
die sich technisch irgendwie transponieren oder
festhalten ließe. Celi sagte oft: Du hast eine chinesische
Vase, viele tausend Jahre alt, Millionen Wert, schmeiß´
sie hin. Jetzt klebe sie zusammen. Ist es noch die
gleiche Vase? Sie ist es natürlich nicht, weil sie
zusammengeklebt ist. Deshalb bin ich im Prinzip
auch seiner Meinung, dass auf der Platte keine Musik
festgehalten werden kann. Auf ihr ist Klang; dieser
ist aber noch nicht Musik. Meine Meinung habe ich
übrigens nicht vom Maestro Celibidache, sondern
ich war beim Maestro wegen meiner Meinung.
In Südindien hatte ich einmal das Glück mit dem großen alten Sänger und Lehrer Srinivasa Aiyar zusammenzutreffen. Er sang mir, um mich zu testen, unmögliche vierteltönige und glissandoartige Dinge vor, die ich am Klavier imitieren sollte, was natürlich nicht ging. - Ich sagte ihm, dass ich seine Stimme sehr gut kenne, weil es in Deutschland eine Platte von ihm gäbe. Darauf erwiderte er: My good music is not on the record, you cannot know my voice. "Aber ich habe sie doch gehört!" Dann sagte er etwas, was ich nie vergessen werde: Records are only good for studying purpose! Er meinte also, man solle die Platte ruhig hören, aber anschließend alles wieder vergessen. Was fehlt ist das, was Dich bewegt. Aber gerade dies ist das tiefere Geheimnis: z.B. das Erlebnis einer bestimmten Farbe bei einem Farben-Raga, oder dass es nach dem Regen-Raga gleich regnen soll. Diese harmonikalen Entsprechungen oder Analogien aus dem indischen Weltbild gehen nicht auf eine "Record".
Die Frage, was
auf Tonträger fixierbar ist, hängt wohl auch damit
zusammen, welche Qualitäten man überhaupt der Musik
zuschreiben kann.
Musik zu erleben,
ist ein bestimmtes Unternehmen: Ich verfolge mit
meinem Geist eine Sache und gerate dabei in einen
zeitfreien Raum, wo Anfang und Ende zusammenfallen.
Einem solchen Zustand kann man sich auch durch die
Meditation nähern. Ich erlebe ihn aber auch manchmal,
wenn z.B. Sergiu Celibidache die Münchner Philharmoniker
dirigiert. Wenn der erste Ton anklingt, ist in diesem
Ton schon das Ende gegenwärtig. Dadurch werde ich
herausgehoben, ein ganz ungeheurer Moment, der auch
anderen Zuhörern widerfährt. Wird diese Musik live
gesendet, kann eine Ahnung davon auch über Radio
oder Fernsehen erlebt werden. Musik ereignet sich
nämlich letztlich im Bewusstsein des Einzelnen und
ist gleichzeitig ein Gemeinschaftserlebnis, Husserl
begründet dies mit der "intersubjektiven Betreffbarkeit".
Könnte dieser
Effekt auch noch am nächsten Tag entstehen? Dann
wäre Musik doch auch auf Platte fixierbar ...
Das ist ein Problem.
Ich glaube, dass dieser Moment der Erhebung nur
in seiner zeitlichen Entstehung wirklich übertragbar
ist. Am nächsten Tag ist die Musik schon nicht mehr
live, also lebendig. Dies gilt dann auch für die
Platte. Ich kann aber im Bewusstsein, obwohl die
Platte keine Musik, sondern nur Klang speichert,
mit der nötigen Phantasie den Klang wieder zur Musik
werden lassen.
Die Phantasie muss darüber hinweghelfen, dass bei mir Zuhause andere Bedingungen herrschen als im Konzertsaal. In meinem Wohnzimmer hätte beispielsweise das Orchester nicht so lange und so breit gespielt. Dass das Husten und Rascheln der Nachbarn fehlt, ist wohl eher ein Vorteil.
Sind vielleicht
auch die Aufnahmebedingungen hinderlich, zum entstehen
von "Musik" in Ihrem Sinne?
Das kann sein, denn
da heißt es immer: Noch mal bitte! - Wir sind zu
nah! - Halt, wir müssen das Mikrophon links noch
einmal umstellen, Augenblick mal! - Fertig, Band
läuft! - Ja, jetzt hätte es so schön gestimmt, aber
hinten ... - Und was ist mit vorne?
Die eigentlichen Dinge, die man zum wirklichen Musizieren braucht, sind: Die Spontaneität; die Nicht-Quantifizierung, also kein Metronom und schließlich die Intuition. Man lässt es einatmen und ausatmen und schaut sich selbst dabei zu, ohne mit Absicht etwas zu machen, man muss es einfach zulassen können. Sind diese Voraussetzungen gegeben, wird das Musizieren zu einem geistigen Akt. Dabei ist es egal, ob es eine Schubert-Sonate oder ein indischer Raga ist, wenn die Musik wirklich so [er schnippt mit den Fingern] kommt, dann tanzt es, dann ist "es" passiert.
Je nach innerer Bereitschaft, können sich solche Bewusstseinszustände auf den Hörer übertragen. Dies ist ein kommunikativer Prozess im Hier und Jetzt, ein schöpferischer Augenblick. Diese Kommunikation wird beim technischen Aufnahmeprozess schnell kaputtgemacht, sie kann sich auch nicht zwischen dem technischen Medium und dem Menschen abspielen.
(Interview vom 26.2.1994,
Münchner Freies Musikzentrum)
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