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Der "einsame Wolf" unter den Pultlöwen

Celibidaches Kampf gegen die Mechanisierung der Musik


Mit der ganzen Streitbarkeit des überzeug ten Künstlers kämpft der rumänische Tiger unter den modischen Pultlöwen gegen die Mechanisierung und für die Ursprünglichkeit der Musik. Perfektion, ja - sterile Studio-Produktionen, nein. Konservierte Klänge, auf Platten gepresst, sind seine Sache nicht. „Wenn Sie drei Tage bei mir bleiben würden, könnte ich Ihnen zeigen, was für ein Kulturmord die Schallplatte ist", drängt er beschwörend. „Wenn die Platte nur die Musik wiedergeben könnte!" seufzt er, resigniert vor soviel Unverständnis. „Doch sie ist nur eine böse Entstellung."

„Seitdem wir Schallplatten haben, haben wir keine guten Dirigenten", verkündet er sodann kühn. Die Skepsis auf den Gesichtern seiner Zuhörer reizt ihn, das Problem auch den Amusischen unter ihnen klarzustellen: „Vielleicht sind Sie ein großer Verehrer von Brigitte Bardot; doch würde Ihnen eine Fotografie von ihr gewiss nicht ausreichen."

Dass Trier für einige Wochen lang sich im Blickpunkt des Interesses nicht nur deut scher Musikfreunde befand, war Sergiu Celibidache zu verdanken, der hier, auf Initiative des rheinland-pfälzischen Kultusministeriums, einen internationalen Dirigierkurs leitete. Aus 30 Nationen waren die 116 Teilnehmer gekommen, aus allen Teilen der Erde; Argentinien war ebenso vertreten wie die USA und Japan. Die Universität Trier stellte ihnen die notwendigen Räumlichkeiten zur Verfügung; klangerzeugende Versuchsobjekte der Nachwuchs-Dirigenten waren die Pfälzer Philharmoniker.

In der ersten Woche standen Schlagtechnik und Theorie auf dem Stundenplan; darauf kamen drei Wochen Praxis. Täglich fünf Stunden Unterricht am Pult; nachmittags folgten Vorlesungen über angewandte Musikphänomenologie. Ist es denn möglich, innerhalb von einem Monat 116 Individuen das Dirigieren beizubringen? - Der Meisterdirigent überlegt: „Die Kursteilnehmer können auf jeden Fall einiges darüber erfahren, wie man nicht dirigieren soll", meint er. Doch hält er nichts davon, mit nur einer im voraus ausgewählten Elite zu arbeiten. „Sie würden enttäuschen", sagt er. „Sie würden nicht durchhalten."

Dass nicht alle gleich intensiv „drankommen", versteht sich von selbst. „Einige verstehen gleich, andere gar nicht. Es ist ein ständiges Eliminationssystem", erklärt Celibidache. So bildet sich, leistungsbedingt stets aufs neue, ein „harter Kern" von zwölf Schülern, mit denen er seine Technik, seine Idealvorstellungen demonstriert.

Im Dirigierkurs werden, mit unzähligen, ermüdenden Wiederholungen, einzelne Takte erarbeitet. Uneingeweihten scheint es bis weilen wie ein vergebliches Suchen nach Puzzle-Teilchen. Ob dieses Vervollkommnen der Details denn auch sinnvoll sei? - „Natürlich", meint Celibidache. „Denn wie kann ich das Ganze erfassen, wenn ich nicht die Fragmente beherrsche? Man sucht - auf einmal klärt sich etwas: Das richtige Tempo ist da!"

Die Musik Celibidaches ist objektiv: „Mit der Suggestion kann man keinen Bogen führen." Er kokettiert mit seiner Einzelstellung im Musikleben: „Es liegt mir nicht, gegen die ganze Welt anzukämpfen. Aber genausowenig liegt es mir, gar nichts zu tun."

Christina Herold
(„Die Rheinpfalz", Ludwigshafen, 26. März 1977)