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Laudation zu Celibidaches 70ten



Bewunderter Außenseiter

von Albrecht Roeseler
In Harmonie mit seinem Publikum
von Horst Koegler

 

Bewunderter Außenseiter
Sergiu Celibidache wird siebzig


Die Münchner haben ihren derzeitigen Generalmusikdirektor erst ziemlich spät kennen gelernt, im Jahr 1961, als Sergiu Celibidache seine aufsehen- erregende Blitzkarriere mit den Berliner Philharmonikern längst hinter sich hatte. Gerade in diesem Jahr, da die "Berliner" sich als Hundertjährige feiern, hätte man sich seiner ein bisschen liebevoller dort erinnern sollen, wo er in den Jahren 1945 bis 54 über 350mal am Pult des Berliner Orchesters gestanden hat. Fast unmöglich war es damals gewesen, jemanden zu finden, der in der noch rauchenden Trümmerstadt ans Pult treten konnte (und durfte!); der damals.33jährige Rumäne zögerte nicht, seine eminente Begabung und sein musikantisches Temperament an einem (auch 1945 noch intakten) Orchester von erstklassigen Musikern zu erproben, die gleicher- maßen auf ein solches Talent angewiesen waren wie er auf sie.

Celibidache hat sich damals nur als Statthalter Furtwänglers empfunden, dem er selbstlos durch die Mühlen der Entnazifizierung half. Nach dessen Rückkehr an die Spitze des Orchesters vermochte Celibidache sich neben ihm und den eminenten Dirigenten der jüngeren Generation, die dann alle wieder nach Berlin strömten, neben Markewitsch und Fricsay, Solti und Barbirolli und vielen anderen, mühelos zu halten und zu behaupten. Celibidache Konzerte der frühen fünfziger Jahre waren unbestrittene Höhepunkte, bei denen sein berüchtigtes Temperament gebändigt, aber doch präsent war. Auch die Pose des all mächtigen Dompteurs blieb ihm treu, und die verletzende Art seiner Kritik (die heute noch ätzend wirken kann) hat die letzten Jahre seiner Berliner Karriere arg verdüstert. Seit 28 Jahren hat er die Philharmoniker dort nicht wieder geleitet.

Nach Berlin schlossen sich unruhige Wanderjahre an Fluchtjahre, sagen manche, und viel leicht haben sie recht. Mit Orchestern unter schiedlicher Provenienz, dem Kölner vom WDR, dem Stuttgarter vom Südfunk, den Stockholmer und Kopenhagener Philharmonikern hat er periodenweise gearbeitet und auf Reisen konzertiert; Mittel- und Südamerika, Rom und London haben ihn sporadisch erlebt. Der Wanderer verschloss sich eisern den Verlockungen der Medien, mied Schallplattenstudios und Opernhäuser, wirkte in Siena, Mainz und München jeweils kurze Zeit als Pädagoge und verstand es dennoch stets, das aufmerksame Publikum durch seine Interpretationen zu fesseln.

Noch heute, da er in München stärker als in vergangenen Jahren die Philharmoniker leiten will, vermögen seine Auffassungen, so absichtsvoll und überlegt sie dokumentiert sind, die kritischen Gemüter zu erregen, ja in enthusiastisch ihm folgende und etwas ratlos enttäuscht bleibende Hörer zu spalten. Die Unbedingtheit und Unbeirrbarkeit seiner sehr bewusst durchdachten, wahrhaft unorthodoxen Werkauslegungen, aus denen man philosophisch unterfütterte, geistige Durchdringung herauslesen mag wie auch eine bewusst vollzogene Kapitulation vor dem einstigen Primat des eigenen vitalen Musizierstils, ist jeder Anerkennung, ja Bewunderung wert, selbst wenn man mit Bedauern sich, zuweilen außerstande sieht, diesen interpretatorischen Altersprozess jedesmal mitzuvollziehen.

Als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker hat Celibidache mit seiner erzieherischen Arbeit dem Orchester viel Gutes gebracht, und er besitzt bei seinen verschiedenen Vorhaben das schier unerschütterbare Vertrauen der Landeshauptstadt und ihrer Oberen. Das ist eine schöne Basis für seine künftige Arbeit, zu welcher ihm jedermann nur Kraft und Gesundheit wünschen kann, ob er nun in "Celi" (wie er sich gern titulieren lässt) einen absoluten Halbgott erblickt oder einen zu kontroverser Beschäftigung animierenden Künstler. Wenn man siebzig wird und Celibidaches Geburtstag fällt auf den heutigen Sonntag, wird man das gewiss akzeptieren.

Albrecht Roessler - Süddeutsche Zeitung

In Harmonie mit seinem Publikum
Sergiu Celibidache zum siebzigsten Geburtstag


Sergiu Celibidache mag seine Schwierigkeiten im Umgang mit Dirigenten Kollegen, Orchestervorständen, Musikern, Kulturfunktionären und Kritikern haben (und die größten, unüberwindlichsten, über die man in der Öffentlichkeit am wenigsten hört, vermutlich im Umgang mit sich selbst). Doch während man nicht recht weiß, was denn wohl solche Komponisten wie Haydn und Mozart im Olymp von ihm halten, wenn, sie via SR 2 und Satellit ihre Werke in der Übertragung seiner Konzerte aus der Stuttgarter Liederhalle hören (wohin gegen man vermuten darf, dass Debussy, Ravel und Richard Strauss sich an solchen Abenden, sollten sie sich noch nicht dort befinden, geradewegs in den siebenten Himmel versetzt wähnen dürften), hat man von den Unstimmigkeiten zwischen "Celi" und seinem Publikum noch nichts gehört. Das feiert ihn und stürmt seine Konzerte, wo immer er aufzutreten beliebt  in Stuttgart nicht anders als in München, London oder Paris. Celibidache Konzerte sind nach wie vor Ausnahmekonzerte, und das will schon etwas heißen im nivellierten Musikbetrieb unserer Tage.

Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass er sich auf Schallplatten so außerordentlich rar macht. "Celi" lässt sich eben nicht im Plattenladen um die Ecke im Discount kaufen, jedenfalls nicht so ohne weiteres: nur ein halbes Dutzend Aufnahmen sind von ihm offiziell im Handel im übrigen muss man sich an die Piraten wenden. Wenn gleichwohl seine Interpretationen in der Sammlung vieler Musikfreunde einen voluminösen Ehrenplatz einnehmen, so handelt es sich dabei durchweg um Privatmitschnitte der Rundfunkübertragung seiner Konzerte, setzt also eine zwar limitierte, gleichwohl engagierte Selbstbeteiligung des Musikkonsumenten voraus. Und so wird es denn wohl am Montag, zu seinem siebzigsten Geburtstag eine Vielzahl von "Celi" Privatissima in den Häusern von Musikfreunden überall in der Welt geben sehr zum Unmut der Schallplattenindustrie, die sich hier unfreiwillig ein lukratives Geschäft entgehen lassen muss.

Ein überzeugter Verweigerer der Vermarktung durch mechanische Reproduzierbarkeit, kommt doch auch Celibidache nicht um Kompromisse herum, und seinem Kompromiss mit dem Süddeutschen Rund funk verdanken wir bekanntlich seine relativ häufigen Stuttgarter Auftritte. Gäbe es nur das Staatsorchester, hätte Stuttgart Celibidache wohl nur als Gastdirigenten an der Spitze auswärtiger Orchester erlebt. Wenn wir ihn aber schon nicht als Leiter unseres Radio Sinfonieorchesters haben können, so wollen wir doch froh sein, ihn wenigstens quasi als dessen "Conductor laureatus" (die Engländer haben für alles so schöne Titel) an Stuttgart gebunden zu wissen.

Dass Celibidaches siebzigster Geburtstag (den er selbst übrigens, aus Roman in Rumänien gebürtig, dem Julianischen Kalender zufolge erst am 11. Juli feiert, sich da mit gleichsam von seinem altrussischen Geburtsdatum distanzierend) ins Jahr des hundertjährigen Bestehens des Berliner Philharmonischen Orchesters fällt, wird vielen und ganz sicher ihm selbst spätestens aufgegangen sein, als sie ihn neulich auf dem Bildschirm als Mittdreißiger an der Spitze von Deutschlands berühmtestem Orchester sahen: einen schmalen Ekstatiker, aus dessen Asketenaugen Feuer sprüht. Als Statthalter Furtwänglers war der promovierte Musikwissenschaftler über Nacht im Nachkriegsberlin in die exponierte Stellung des Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker katapultiert worden: ein Sensibilissimus, der zugleich als Purgator und Visionär auftrat und in dieser Mischung, die einen El Greco als einzig an gemessenen Porträtisten erscheinen lässt, weit über Berlin hinaus das Interesse auf sich zog. Dass Furtwängler dann nach seiner Entnazifizierung in seine angestammte Position zurückkehrte, konnte Celibidache gerade noch verkraften. Dass dann, als es um die Furtwängler Nachfolge ging, die zuständigen Behörden und die Orchestermitglieder gegen Celibidache für Karajan plädierten, hat ihm jenen Knacks versetzt über den er bis heute nicht hinweg gekommen ist. Heute gilt er als der große Unbehauste unter den Dirigenten seiner Generation, der nirgends mehr heimisch geworden ist, der nur noch Liaisons auf Zeit, eingegangen ist: erst in Stockholm, dann in Stuttgart, derzeit bei den Münchner Philharmonikern, denen er bei seinem Amts antritt klipp und klar sogleich erklärt hat: "Ich bin nicht sicher, ob ich hier bleibe."

Seither gefällt sich Celibidache in seiner Rolle als permanenter Unruhestifter, als Pfahl im Fleische unseres Musikbetriebs - mehr indessen als sarkastischer Kommentator, der noch keinen Interviewer hat von dannen ziehen lassen, ohne ihm ein halbes Dutzend giftsprühender Bonmots auf den Weg mitzugeben, denn als Dirigent, der neue, wegweisende Interpretationsperspektiven jenseits einer superlativistischen Klangperfektion aufgezeigt hätte, obgleich er sich doch als einziger im Besitze jenes Dirigiergeheimnisses weiß demzufolge "es gilt, den Dirigenten im Komponisten zu finden, indem der Komponist ge- oder versucht hat, sich in mir, dem Dirigenten, zu finden. Das ist die objektivste Definition des Dirigierens". Im Besitze dieses Geheimnisses, ist Celibidache zu einem dirigentischen Apostel geworden, in dem Mystik, Wissenschaft, Philosophie, Kunst und pädagogischer Eros eine freilich so nur bei ihm anzutreffende Personalunion eingegangen sind.

Ganz und gar nicht auf den Mund gefallen, hat Celibidache sein Dirigierideal als die Fertigkeit bezeichnet, "den vertikalen Druck, den Ausdruck des Augenblicks, mit dem horizontalen Druck, dem Verhältnis zwischen den Werten, in einer einmaligen erlebten Form darzubringen". Es ist eine Definition, die geradezu dazu herausfordert, kontrovers interpretiert zu werden. Indessen wird es auch den linkslastigsten Kritikern nicht gelingen, den Aussteiger Celibidache, der sich bekanntlich auch der Oper konsequent verweigert, für ihre Opposition gegen die Praktiken unseres bürgerlichen Musikbetriebs zu vereinnahmen. Dazu ist Celibidaches Aussenseitertum viel zu wenig gesellschaftlich, dafür ist es viel zu einseitig ästhetisch motiviert. Insofern allerdings ist Celibidache neben seinem großen, allerdings nur von ihm selbst so gesehenen Antipoden Herbert von Karajan die durchaus repräsentative Identifikationsfigur für den heutigen Klangfetischismus des Publikums unserer Konzertsäle und wohl auch, gelegentlichen individuellen Kontroversen zum Trotz, der Instrumentalisten, mit denen er zusammen musiziert und die er dann zum Schluss ja auch immer solistisch in das große Ritual seiner Applaus Choreographie einbezieht. Im Grunde verkörpert Celibidache einen der ganz wenigen Übriggebliebenen aus der Starvirtuosenära des neunzehnten Jahrhunderts, als der er uns auch dann noch in Stuttgart willkommen ist, wenn seine der zeitigen Münchner Flitterwochen vielleicht ein etwas abruptes Ende finden sollten.

Horst Koegler - Stuttgarter Zeitung