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Laudatien zu Celibidaches 80ten



BRastlos auf der Suche nach der Wahrheit

von Horst Koegler
Das Genie als Eigenbrötler
von Wolfgang Sandner
Kompromisslos für die Musik
von Albrecht Roessler

 

 

Rastlos auf der Suche nach der Wahrheit
Dem Dirigenten Sergiu Celibidache zum achtzigsten Geburtstag


München hat sich viel vorgenommen zur Feier seines achtzigsten Geburtstags: Sonderkonzert mit Beethovens Fünfter, Galaempfang, Verleihung der Ehrenbürgerwürde, Überreichung des Großen Verdienstkreuzes mit Stern... Das wird Sergiu Celibidache nicht davon abhalten, seinen Arbeitgeber auch in Zukunft unter Druck zu setzen, wann immer ihm das zur Durchsetzung seiner kompromisslosen Ansprüche notwendig scheint. Ein Nonkonformist par excellence mit einem ungewöhnlich verstandeshellen Dickschädel, ist der gebürtige Rumäne und studierte Deutsche längst zu einem waschechten Bajuwaren geworden. Dreizehn Jahre hält die vielfach krisengeschüttelte Ehe des Münchner Generalmusikdirektors und Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker mit der bayerischen Landeshauptstadt nun schon an so lange hat er es noch mit keiner anderen Stadt (und keine, andere Stadt mit ihm) ausgehalten, seit er sich 1954 im Zorn von Berlin getrennt hat, als es nicht ihn, sondern Herbert von Karajan der Furtwängler Nachfolge bei den Berliner Philharmonikern für würdig hielt.

Stuttgart erinnert sich nicht ohne Nostalgie der sieben Jahre, die er hier von 1971 bis 1977 zunächst als Gastdirigent und dann als Leiter des Radio Sinfonieorchesters wirkte eine Glanzeit des Stuttgarter Musiklebens nach dem Kriege, die Musiker und Publikum noch heute gleichermaßen ins Schwärmen geraten lässt.

Auch als Achtzigjähriger polarisiert "Celi", wie ihn die Musikwelt liebevoll nennt, die Meinungen der Öffentlichkeit die einen halten ihn für ein Genie, die an deren für einen maßlos überschätzten Egozentriker. Fest steht, dass er sein Versprechen eingelöst und die Münchner Philharmoniker zu einem Eliteorchester gemacht hat. Auch über seinen Ausnahmerang als Bruckner - Dirigent sind sich die Musikliebhaber zwischen New York, Moskau und Tokio einig. Nicht zuletzt gehört ihm die Sympathie derjenigen, die in ihm, der ein erklärter Feind von Schallplattenaufnahmen ist, einen Vorkämpfer gegen die immer wilder wuchernden Vermarktungsstrategien der industriellen Musikmafia sehen.

Als überzeugter Anhänger der Phänomenologie Husserls vertritt er seit seinen Studententagen an der Universität in der rumänischen Provinzhauptstadt Jassy und dann an der Berliner Musikhochschule und Humboldt   Universität einen Dirigententyp ganz individuellen Zuschnitts. Dazu gehört nicht zuletzt seine stark vom Zen Buddhismus geprägte Lebensphilosophie, die er auch als Dozent in seinen regelmäßigen Kursen und Seminaren an der Universität Mainz und bei der Schleswig Holsteinischen Orchester Akademie an den Nachwuchs weitergibt.

Die Kanten und Ecken seines Radikalismus in seiner Denk weise und seinen Anforderungen an die Musiker mögen sich mit zunehmendem Alter abgeschliffen haben, geblieben ist die unbedingte Ehrlichkeit in seiner Suche nach dem, was er die Wahrheit der Musik nennt und die beginnt für ihn erst hinter den Noten. Musik ist für ihn "nicht fixierbar. Wenn Sie die Fünfte von Beethoven spielen es gibt sie nicht, aber sie entsteht je des Mal. Das ist die einzige Wahrheit." Ein Musiker bestätigt ihm: "So bin ich glücklich, dass wir dem Zeitgeist zum Trotz mit diesem Lehrer und Musiker in konzentrierter Arbeit und mit Zeit für die Musik die Wahrheit in ihr suchen. Manchmal dürfen wir sie auch erleben, zusammen mit allen, die gegenwärtig sind und ihr Herz geöffnet haben.“

Horst Koegler – Stuttgarter Zeitung

 

Das Genie als Eigenbrötler
Kultsubjekt, nicht Blender: Sergiu Celibidache zum achtzigsten Geburtstag


Hermann Scherchen, der ein halbes Jahrhundert lang als Dirigent die Entwicklung der neuen Musik beeinflusst hat, war ein scharfsinniger musikalischer Analytiker und als geradezu schroff intellektueller Pädagoge eigentlich über jeden Zweifel der Mystifizierung seines Berufsstandes erhaben. Aber selbst er sprach in seinem Lehrbuch des Dirigierens nicht nur einmal von Geheimkunst. Die "berauschende Menschenorgel", das Orchester spielen zu können, heiße Magie üben, erfordere bannen de Kräfte.

Es bedarf keiner großen Phantasie, sich vorzustellen, wie eine solche Anschauung sich verselbständigt, ein Eigenleben gewinnt, das, die Realitäten einer überaus schwierigen künstlerischen Profession voll kommen in den Hintergrund drangt: der Dirigent als Schamane, der Orchesterleiter als Klangzauberer. Solche plakativen Vorstellungen werden nur zu bereitwillig auf gegriffen, um in einer vollautomatisierten Welt ein offenbar unermessliches Defizit an Irrationalem, Unerklärlichem und Wunderbarem auszugleichen.

Viele große Dirigenten sind in dieser Weise zu Künstlern stilisiert worden, denen   von der fachlichen Qualifikation ein mal abgesehen   sozusagen übernatürliche Fähigkeiten bei der Interpretation von Musik zugeschrieben wurden: Metaphysiker am Dirigentenpult. Keiner aber hat durch sein Wirken und seine Persönlichkeit selbst so viel dazu beigetragen, als ein mit unfassbaren musikalischen Kräften, ausgestattetes Kultsubjekt angesehen zu werden, wie der aus Rumänien stammende Dirigent und Münchener Generalmusikdirektor Sergiu Celibidache. Bisweilen werden seine Interpretationen geradezu als magische Akte, als kontagiöse Handlungen beschrieben: Wie beim Berühren von Reliquien die Macht und die Eigenschaft der Heiligen sozusagen auf die verehrende Kontaktperson übergehe, so verwandele sich die Partitur bei der Berührung mit Celibidaches Dirigentenstab wie von selbst in den musikalischen Willen des genialen Komponisten. Und wer mit Celibidaches Interpretation in Berührung komme, wer de schließlich zum Glied in dieser musikalischen Übertragungskette.

Dabei hat der hochgebildete Phänomenologe Sergiu Celibidache nie musikalische Ahnungslosigkeit mit einer quasi religiösen Aura oder mystifizierenden Ästhetik bemänteln müssen. Selbst als im Umgang mit Symphonieorchestern unerfahrener Ersatzmann für den auf sein Entnazifizierungsverfahren wartenden Wilhelm Furtwängler bei den Berliner Philharmonikern war Celibidache alles andere als ein Blender. Sein eminentes musikalisches Gedächtnis, sein bis in die Richtung von Klangquellen hinein untrügliches Gehör, seine Partiturkenntnis, seine umfassende Bildung Philosophie-, Kompositions-, Dirigier- und Musikwissenschaftsstudien mit dem Abschluss einer Dissertation über Josquin Desprez und nicht zuletzt sein musikalisches Temperament machten ihn sehr schnell zu einem Orchestererzieher ersten Ranges.

Celibidache war ein musikalischer Feuerkopf im Berlin der Kriegs- und unmittel baren Nachkriegszeit, ein grimmiger Eigenbrötler, nachdem Herbert von Karajan und nicht er die Nachfolge Furtwänglers bei den Philharmonikern antrat, ein unerbittlicher Orchestererzieher in Stockholm und Stuttgart, schließlich ein weiser, hoch verehrter Generalmusikdirektor in München, wo er die Philharmoniker seit 1979 zu einem internationalen Spitzenorchester formte. Zum unverwechselbaren Charakterkopf unter den Dirigenten der Gegen wart aber wurde er durch seine lebenslange, auch in seine Musikanschauung einfließende Beschäftigung mit Zen Buddhismus, mit einer theoretisch und praktisch nahezu besessenen Probenarbeit, mit eigenwilligen Interpretationen, die im Zeitlupentempo aus Brucknerschen Werken tatsächlich sinfonische Riesenschlangen machten, mit einer radikalen Medienverweigerung Schallplatten mit Celibidache füllen keine Regale, durch seine Aversion gegenüber dem ewigen Provisorium des Musiktheaters und schließlich durch seine Konzentration auf ein geradezu provozierend schmales, vorwiegend deutsches Repertoire.

Es ist keine Frage, dass Sergiu. Celibidache damit zum wichtigen Regulativ für die Medienhörigkeit unserer Zeit und den in sich selbst kreisenden Musikbetrieb wurde. Das Mechanische in der Musik ist ihm ohnehin stets suspekt gewesen: "Ein Dirigent ist übrigens noch längst kein Musiker, aber er kann auch ein Musiker sein. Ein Mensch, der Ordnung schafft im Orchester, dass die Instrumente zusammen spielen, dass keiner zu laut ist und eine gewisse musikalische Funktion entsteht das ist noch keine Musik. Das ist erst die Voraussetzung, dass Musik entstehen kann."

Um das, was Musik ausmacht, als Orchesterleiter zu kreieren, muss man freilich auch demagogische Begabung besitzen. Denn Orchestermusiker, sollen mit ihren Instrumenten reden können, Dirigenten aber müssen fähig sein, zu überreden. Sergiu Celibidache hat diese Eigenschaft, die man auch zur Metaphysik des Dirigierens rechnen kann, stets besessen. Am Sonntag wird er achtzig Jahre alt.

Wolfgang Sandner – Frankfurter Allgemeine Zeitung

 

Kompromißlos für die Musik
Sergiu Celibidache zum 80. Geburtstag


Vier Tage vor seinem achtzigsten Geburtstag, in der Philharmonie in München: Celibidache - gelassen und ausgeruht wirkend - probt mit seinen Philharmonikern Anton Bruckners Dritte Symphonie, die er am kommenden Dienstag in der Kölner Philharmonie mit ihnen aufführen will. Er lobt zuerst rückhaltlos ihren künstlerischen Einsatz und ihre musikalischen Leistungen bei den „dramatischen Konzerten" mit dem Pianisten Arturo Benedetti Michelangeli. Fragt dann: „Sind Sie müde?" Schließlich launig: „Ich bin gekommen, um Ihre Spontaneität wieder wachzurütteln." Andern falls würden die Musiker doch nur „aus dem Gedächtnis" spielen ... Sie quittieren es mit Lachen und verstehen genau, wie ihr Chef es meint.

Spontaneität - für Celibidache das Zauberwort des Musizierens. Er ist überzeugt, daß das Denken, das Gedächtnis (also die Tätigkeiten der Erinnerung, des Räsonnierens, Wagens, Vergleichens) den Menschen von der Musik, vom Hören und Erleben im Augenblick, wegziehen. Denken sei für die „Arbeit" an der Musik wichtig. Musik selbst, die Töne, der Klang - eine andere Welt als die der Gedanken, der mehrdeutigen Sprache. Musik sei je doch nicht „schön", sondern „wahr" - und Schönheit sei nur ein Lockmittel für etwas ganz anderes.

Nicht einfach war es zunächst für uns alle in München, dieses paradoxe Musik-Denken des Nicht-Denkens zu verstehen, eventuell zu akzeptieren, uns vertraut zu machen mit dem philosophischen, auch dem fernöstlichen Element in der Musikauffassung Celibidaches. Schon in seiner Berliner Studienzeit in den 30er Jahren hatte er ja regelmäßig einen deutschen Buddhisten aufgesucht (Martin Steinke, derselbe, mit dem damals auch der junge Carl-Friedrich von Weizsäcker arbeitete). Und oft war Celibidache dann bei Japan-Gastspielen in buddhistische Klöster gegangen, um noch etwas anderes zu „lernen", um zu meditieren.

Beginn einer Epoche

Ob wir das nicht - denkende Musikdenken nun verstanden oder uns nur darum bemühten - „Es ist des Lernens, kein Ende" schrieb Robert Schumann ans Ende seiner „Musikalischen Haus- und Lebensregeln" für Kritiker - , auf jeden Fall waren es Celibidaches Proben und seine Konzerte, die wir hier bald - pathetisch gesprochen - als den Beginn einer Epoche begreifen mußten.

Die traditionsreichen Münchner Philharmoniker, die Celibidache 1979 übernahm, wurden von Konzert zu Konzert, von Jahr zu Jahr besser. Sie klangen unter seiner Leitung immer reicher „strukturiert", in größerer Fülle und Transparenz, sie lernten von ihm, kammermusikalisch aufeinander zu hören, lernten in geduldiger Arbeit, die Geheimnisse der richtigen Analyse der Musik, der richtigen Phrasierung und Artikulation, der Klangbalance. Die Gesetze von musikalischer Spannung und Entspannung.

Ungefähr mit der Eröffnung der Gasteig-Philharmonie 1985 zusammen (und nach dem großen Konflikt mit der Stadt, der Presse) fällt der Beginn der großen Tourneender Philharmoniker unter Celibidache. Der von Celibidache am Anfang versprochene Qualitätssprung, die Bewunderung, der Enthusiasmus des Publikums in aller Welt, das alles wurde dem Orchester tatsächlich zuteil, dient Münchens Musikruhm.

Celibidaches musikalische Arbeit bedeutet für viele Musikfreunde in München wahrscheinlich sogar: die Musik neu erleben können. Gerade die bekannten, die „abgespielten" Stücke der symphonischen Literatur - Mussorgskys „Bilder", Haydns Nr. 104, Beethoven-, Brahms- und Tschaikowsky-Symphonien, die Zweite und Fünfte von Sibelius, Rossini-Ouvertüren und vieles mehr -, sie klingen unter Celibidaches Taktstock oft unerwartet frisch, neu „ausgehört". Celibidaches Proben, Konzerte, seine Universitätskurse in Mainz, Gespräche mit ihm - eine Fundgrube neuer Einsichten. Und Celibidaches früher oft ungebremst heftiges Temperament, heute seine ungleich gelassenere Haltung und die Kompromißlosigkeit, mit der er künstlerische Entscheidungen unverändert radikal verteidigt - das alles bedeutet immer ein bißchen. prickelnde Spannung, vielleicht die nächste Krise, noch immer ein Hauch Musikleben - Abenteuer.

„So ist es!“ - das sind die drei Wörtchen, die Celibidache am liebsten hören würde, wenn ihm jemand nach der Vierten Brahms oder Achten Bruckner vollen Herzens etwas von seinem Musikerlebnis mitteilen wollte. Keinen Wortschwall, keine schmückenden Beiwörter mag er leiden. In dem schon fast abweisend sachlichen „So ist es!" steckt sein strenges musikalisches Handwerksethos, und ein Teil des „Geheimnisses" dieses Dirigenten, der so gern hinter der Musik und den Musikern zurücktritt und es doch nicht vermeiden kann, dabei selber im Mittel punkt zu stehen.

Nicht kokett gespielt ist Celibidaches Bescheidenheit, wenn er im Beifall nach dem Konzert nie allein aufs Podium geht, um sich dort oben als Star der Musik feiern zu lassen, sondern wenn er sich neben den Konzertmeister stellt und die Musiker seines Orchesters einzeln oder in Gruppen zum Applaus aufruft. Daß aus einem Taktstock noch niemals ein Ton Musik herausgekommen sei, mit solchen Spott-Bonmots macht Celibidache gern auf die Tatsache aufmerksam, daß die Dirigenten, Symbolfiguren der Herrschaft, sich in ihrer äußeren Machtfülle allzu gern überschätzen (lassen).

Was macht ein „Magier des Taktstocks" anders als ein wackerer Kapellmeister? Vielleicht könnte es jener Solo-Bratschist der Münchner Philharmoniker am genauesten sagen, der nach 13 Jahren mit Karajan in Berlin nach München ging, um mit Celibidache das ganze Repertoire, die Musik noch einmal „neu zu erleben". Auf keinen Fall ist Celibidache eine „Sphinx", eine Rätselfigur, oder ein Exzentriker. Es darf jeder dabei sein, wenn er eine Aufführung erarbeitet, von der ersten Probe an. Am wichtigsten neben seiner dirigentischen Technik, seinem Orchester-Wissen, seiner kraftvollen Persönlichkeit: die Musikalität, das Gehör, das Hörbewußtsein. Auf die Frage, was Musikalität sei, pflegt Celibidache zu antworten: „Korrelationsfähigkeit". Das klingt nüchtern, enthält aber eigentlich alles - vielleicht auch die Fähigkeit der Musik, Dauer in der -flüchtigen-Zeit" zu stiften.

Celibidaches Kraft, über weite musikalische Zusammenhänge Spannung aufzubauen und zu halten und auch noch das kleinste musikalische Detail artikuliert erklingen zu lassen - deshalb die Vorliebe für Anton Bruckner? Was Celibidache an ihm rühmt, sagt viel über ihn selbst: „Er ist so ein konsequenter, scharfer Denker. Bruckner kann sowohl anfangen wie auch aufhören. Und Bruckner kann uns dahin bringen, wo uns sonst niemand hinbringt. Er ist der größte Symphonist aller Zeit."

Die Voraussetzung, daß solche Fähigkeiten sich entfalten können, ist innere Konzentration, Ökonomie im Umgang mit der Zeit: seit mehr als zehn Jahren dirigiert Celibidache nur noch die Münchner Philharmoniker. Ihm in München zum Geburtstag zu gratulieren heißt ihm nicht nur Glückes genug zu wünschen, Gesundheit, sondern einem Mann zu danken, den ein spanischer Kritiker neulich „den besten Diener der Musik" genannt hat.

Süddeutsche Zeitung -  Wolfgang Schreiber

 



 Münchner haben ihren derzeitigen Generalmusikdirektor erst ziemlich spät kennen gelernt, im Jahr 1961, als Sergiu Celibidache seine aufsehen- erregende Blitzkarriere mit den Berliner Philharmonikern längst hinter sich hatte. Gerade in diesem Jahr, da die "Berliner" sich als Hundertjährige feiern, hätte man sich seiner ein bisschen liebevoller dort erinnern sollen, wo er in den Jahren 1945 bis 54 über 350mal am Pult des Berliner Orchesters gestanden hat. Fast unmöglich war es damals gewesen, jemanden zu finden, der in der noch rauchenden Trümmerstadt ans Pult treten konnte (und durfte!); der damals.33jährige Rumäne zögerte nicht, seine eminente Begabung und sein musikantisches Temperament an einem (auch 1945 noch intakten) Orchester von erstklassigen Musikern zu erproben, die gleicher- maßen auf ein solches Talent angewiesen waren wie er auf sie.

Celibidache hat sich damals nur als Statthalter Furtwänglers empfunden, dem er selbstlos durch die Mühlen der Entnazifizierung half. Nach dessen Rückkehr an die Spitze des Orchesters vermochte Celibidache sich neben ihm und den eminenten Dirigenten der jüngeren Generation, die dann alle wieder nach Berlin strömten, neben Markewitsch und Fricsay, Solti und Barbirolli und vielen anderen, mühelos zu halten und zu behaupten. Celibidache Konzerte der frühen fünfziger Jahre waren unbestrittene Höhepunkte, bei denen sein berüchtigtes Temperament gebändigt, aber doch präsent war. Auch die Pose des all mächtigen Dompteurs blieb ihm treu, und die verletzende Art seiner Kritik (die heute noch ätzend wirken kann) hat die letzten Jahre seiner Berliner Karriere arg verdüstert. Seit 28 Jahren hat er die Philharmoniker dort nicht wieder geleitet.

Nach Berlin schlossen sich unruhige Wanderjahre an Fluchtjahre, sagen manche, und viel leicht haben sie recht. Mit Orchestern unter schiedlicher Provenienz, dem Kölner vom WDR, dem Stuttgarter vom Südfunk, den Stockholmer und Kopenhagener Philharmonikern hat er periodenweise gearbeitet und auf Reisen konzertiert; Mittel- und Südamerika, Rom und London haben ihn sporadisch erlebt. Der Wanderer verschloss sich eisern den Verlockungen der Medien, mied Schallplattenstudios und Opernhäuser, wirkte in Siena, Mainz und München jeweils kurze Zeit als Pädagoge und verstand es dennoch stets, das aufmerksame Publikum durch seine Inter- pretationen zu fesseln.

Noch heute, da er in München stärker als in vergangenen Jahren die Philharmoniker leiten will, vermögen seine Auffassungen, so absichtsvoll und überlegt sie dokumentiert sind, die kritischen Gemüter zu erregen, ja in enthusiastisch ihm folgende und etwas ratlos enttäuscht bleibende Hörer zu spalten. Die Unbedingtheit und Unbeirrbarkeit seiner sehr bewusst durchdachten, wahrhaft unorthodoxen Werkauslegungen, aus denen man philosophisch unterfütterte, geistige Durchdringung herauslesen mag wie auch eine bewusst vollzogene Kapitulation vor dem einstigen Primat des eigenen vitalen Musizierstils, ist jeder Anerkennung, ja Bewunderung wert, selbst wenn man mit Bedauern sich, zuweilen außerstande sieht, diesen interpretatorischen Altersprozess jedesmal mitzuvollziehen.

Als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker hat Celibidache mit seiner erzieherischen Arbeit dem Orchester viel Gutes gebracht, und er besitzt bei seinen verschiedenen Vorhaben das schier unerschütterbare Vertrauen der Landeshauptstadt und ihrer Oberen. Das ist eine schöne Basis für seine künftige Arbeit, zu welcher ihm jedermann nur Kraft und Gesundheit wünschen kann, ob er nun in "Celi" (wie er sich gern titulieren lässt) einen absoluten Halbgott erblickt oder einen zu kontroverser Beschäftigung animierenden Künstler. Wenn man siebzig wird und Celibidaches Geburtstag fällt auf den heutigen Sonntag, wird man das gewiss akzeptieren.

Albrecht Roessler - Süddeutsche Zeitung

In Harmonie mit seinem Publikum
Sergiu Celibidache zum siebzigsten Geburtstag


Sergiu Celibidache mag seine Schwierigkeiten im Umgang mit Dirigenten Kollegen, Orchestervorständen, Musikern, Kulturfunktionären und Kritikern haben (und die größten, unüberwindlichsten, über die man in der Öffentlichkeit am wenigsten hört, vermutlich im Umgang mit sich selbst). Doch während man nicht recht weiß, was denn wohl solche Komponisten wie Haydn und Mozart im Olymp von ihm halten, wenn, sie via SR 2 und Satellit ihre Werke in der Übertragung seiner Konzerte aus der Stuttgarter Liederhalle hören (wohin gegen man vermuten darf, dass Debussy, Ravel und Richard Strauss sich an solchen Abenden, sollten sie sich noch nicht dort befinden, geradewegs in den siebenten Himmel versetzt wähnen dürften), hat man von den Unstimmigkeiten zwischen "Celi" und seinem Publikum noch nichts gehört. Das feiert ihn und stürmt seine Konzerte, wo immer er aufzutreten beliebt  in Stuttgart nicht anders als in München, London oder Paris. Celibidache Konzerte sind nach wie vor Ausnahmekonzerte, und das will schon etwas heißen im nivellierten Musikbetrieb unserer Tage.

Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass er sich auf Schallplatten so außerordentlich rar macht. "Celi" lässt sich eben nicht im Plattenladen um die Ecke im Discount kaufen, jedenfalls nicht so ohne weiteres: nur ein halbes Dutzend Aufnahmen sind von ihm offiziell im Handel im übrigen muss man sich an die Piraten wenden. Wenn gleichwohl seine Interpretationen in der Sammlung vieler Musikfreunde einen voluminösen Ehrenplatz einnehmen, so handelt es sich dabei durchweg um Privatmitschnitte der Rundfunkübertragung seiner Konzerte, setzt also eine zwar limitierte, gleichwohl engagierte Selbstbeteiligung des Musikkonsumenten voraus. Und so wird es denn wohl am Montag, zu seinem siebzigsten Geburtstag eine Vielzahl von "Celi" Privatissima in den Häusern von Musikfreunden überall in der Welt geben sehr zum Unmut der Schallplattenindustrie, die sich hier unfreiwillig ein lukratives Geschäft entgehen lassen muss.

Ein überzeugter Verweigerer der Vermarktung durch mechanische Reproduzierbarkeit, kommt doch auch Celibidache nicht um Kompromisse herum, und seinem Kompromiss mit dem Süddeutschen Rund funk verdanken wir bekanntlich seine relativ häufigen Stuttgarter Auftritte. Gäbe es nur das Staatsorchester, hätte Stuttgart Celibidache wohl nur als Gastdirigenten an der Spitze auswärtiger Orchester erlebt. Wenn wir ihn aber schon nicht als Leiter unseres Radio Sinfonieorchesters haben können, so wollen wir doch froh sein, ihn wenigstens quasi als dessen "Conductor laureatus" (die Engländer haben für alles so schöne Titel) an Stuttgart gebunden zu wissen.

Dass Celibidaches siebzigster Geburtstag (den er selbst übrigens, aus Roman in Rumänien gebürtig, dem Julianischen Kalender zufolge erst am 11. Juli feiert, sich da mit gleichsam von seinem altrussischen Geburtsdatum distanzierend) ins Jahr des hundertjährigen Bestehens des Berliner Philharmonischen Orchesters fällt, wird vielen und ganz sicher ihm selbst spätestens aufgegangen sein, als sie ihn neulich auf dem Bildschirm als Mittdreißiger an der Spitze von Deutschlands berühmtestem Orchester sahen: einen schmalen Ekstatiker, aus dessen Asketenaugen Feuer sprüht. Als Statthalter Furtwänglers war der promovierte Musikwissen- schaftler über Nacht im Nachkriegsberlin in die exponierte Stellung des Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker katapultiert worden: ein Sensibilissimus, der zugleich als Purgator und Visionär auftrat und in dieser Mischung, die einen El Greco als einzig an gemessenen Porträtisten erscheinen lässt, weit über Berlin hinaus das Interesse auf sich zog. Dass Furtwängler dann nach seiner Entnazifizierung in seine angestammte Position zurückkehrte, konnte Celibidache gerade noch verkraften. Dass dann, als es um die Furtwängler Nachfolge ging, die zuständigen Behörden und die Orchestermitglieder gegen Celibidache für Karajan plädierten, hat ihm jenen Knacks versetzt über den er bis heute nicht hinweg gekommen ist. Heute gilt er als der große Unbehauste unter den Dirigenten seiner Generation, der nirgends mehr heimisch geworden ist, der nur noch Liaisons auf Zeit, eingegangen ist: erst in Stockholm, dann in Stuttgart, derzeit bei den Münchner Philharmonikern, denen er bei seinem Amts antritt klipp und klar sogleich erklärt hat: "Ich bin nicht sicher, ob ich hier bleibe."

Seither gefällt sich Celibidache in seiner Rolle als permanenter Unruhestifter, als Pfahl im Fleische unseres Musikbetriebs - mehr indessen als sarkastischer Kommentator, der noch keinen Interviewer hat von dannen ziehen lassen, ohne ihm ein halbes Dutzend giftsprühender Bonmots auf den Weg mitzugeben, denn als Dirigent, der neue, wegweisende Interpretationsperspektiven jenseits einer superlativistischen Klangperfektion aufgezeigt hätte, obgleich er sich doch als einziger im Besitze jenes Dirigiergeheimnisses weiß demzufolge "es gilt, den Dirigenten im Komponisten zu finden, indem der Komponist ge- oder versucht hat, sich in mir, dem Dirigenten, zu finden. Das ist die objektivste Definition des Dirigierens". Im Besitze dieses Geheimnisses, ist Celibidache zu einem dirigentischen Apostel geworden, in dem Mystik, Wissenschaft, Philosophie, Kunst und pädagogischer Eros eine freilich so nur bei ihm anzutreffende Personalunion eingegangen sind.

Ganz und gar nicht auf den Mund gefallen, hat Celibidache sein Dirigierideal als die Fertigkeit bezeichnet, "den vertikalen Druck, den Ausdruck des Augenblicks, mit dem horizontalen Druck, dem Verhältnis zwischen den Werten, in einer einmaligen erlebten Form darzubringen". Es ist eine Definition, die geradezu dazu herausfordert, kontrovers interpretiert zu werden. Indessen wird es auch den linkslastigsten Kritikern nicht gelingen, den Aussteiger Celibidache, der sich bekanntlich auch der Oper konsequent verweigert, für ihre Opposition gegen die Praktiken unseres bürgerlichen Musikbetriebs zu vereinnahmen. Dazu ist Celibidaches Aussenseitertum viel zuwenig gesellschaft- lich, dafür ist es viel zu einseitig ästhetisch motiviert. Insofern allerdings ist Celibidache neben seinem großen, allerdings nur von ihm selbst so gesehenen Antipoden Herbert von Karajan die durchaus repräsentative Identifikationsfigur für den heutigen Klangfetischismus des Publikums unserer Konzertsäle und wohl auch, gelegentlichen individuellen Kontroversen zum Trotz, der Instrumentalisten, mit denen er zusammen musiziert und die er dann zum Schluss ja auch immer solistisch in das große Ritual seiner Applaus Choreographie einbezieht. Im Grunde verkörpert Celibidache einen der ganz wenigen Übriggebliebenen aus der Starvirtuosenära des neunzehnten Jahrhunderts, als der er uns auch dann noch in Stuttgart willkommen ist, wenn seine der zeitigen Münchner Flitterwochen vielleicht ein etwas abruptes Ende finden sollten.

Horst Koegler - Stuttgarter Zeitung