Benedetti Michelangeli
Gipfeltreffen der Großmeister Benedetti Michelangeli und Celibidache in der Philharmonie Süddeutsche Zeitung Klaus Bennert
Laune einer männlichen
Diva? Mitnichten. Wenn irgendein als exzentrisch
verschrieener Musiker unseres Jahrhunderts sich
ein objektives Recht auf seine bisweilen bizarr
anmutenden Attitüden erworben hat, dann Benedetti
Michelangeli. Denn dessen Vollkommenheitsanspruch,
den man ja auch als Demut vor dem Kunstwerk sehen
muß, kann keine Halbheit dulden: Man hat sich als
Verehrer seiner Kunst (und der Rezensent bekennt,
daß er so manches Michelangeli-Konzert zu den Sternstunden
seines Lebens zählt) daran gewöhnt und damit abgefunden,
daß der große „ABM" eher kurz vor Konzertbeginn
absagt, als sich mit einem Hauch von Unzulänglichkeit
zu begnügen. Und man konnte in München vor Jahren
einmal erleben, wie quälerisch lang Michelangeli
einen verpatz ten Schlußakkord aushielt, als wolle
er sich und das Publikum für diese Sucht nach Vollkommenheit
sogar noch bestrafen ... Doch
eine solche Haltung steigert nur, beim Pianisten
wie bei seinen Hörern, den Erwartungsdruck ins Unmenschliche:
Wenn Michelangeli spielt, soll er der Übermensch
am Steinway sein. Und die Medien schlachten des
hypersensiblen Künstlers Auftrittspein auch noch
genüßlich aus: Vom mittlerweile schwarzgefärbten
Scheitel bis zum schwarzen Schweißtuch läßt sich
der Spiegel
kein privates
Detail, kein Klischee und keine kleine Eitelkeit
des Meisters entgehen, um Michelangeli zur dekadenten
Kultfigur, zum in Schönheit sterbenden „Maestro
in Moll" zu erheben. Ein
„Event"
also,
wie man
so
sagt:
Michelangeli
spielte an zwei Abenden Schumanns a-Moll-Klavierkonzert
in der Münchner Philharmonie, begleitet von Sergiu
Celibidache. Ein Gipfeltreffen schwieriger Großmeister,
ein musikalisches Ereignis, das alle miterleben
wollten, und für dessen letzte Karten horrende Schwarzmarktpreise
gezahlt wurden. Und hinterher? Da gab sich so mancher
Kenner arg enttäuscht - denn man hatte statt eines
makellos unwandelbaren Mythos einen Menschen erlebt,
dessen Kunst sich im Alter verändert hat. So etwas
verzeiht man einem 72jährigen offenbar nicht gern,
auch wenn er zu den größten Künstlerpersönlichkeiten
unseres Jahrhunderts zählt. Enorme Klangekstasen Veränderung auch
des Vollkommenen muß ja zudem keineswegs nur Verschlechterung
bedeuten. Denn in dem gleichen Maß in dem Michelangelis
einstiges Florestan - Feuer bei Schumann merklich
fahler geworden ist, hat die Noblesse des Ausdrucks
noch an Nachdenklichkeit gewonnen. Was zu gewissen
Schwerpunktverschiebungen führt: Entsprechend dem
Grad, in dem der chevalereske Aufschwung in der
Kadenz an einstigem Glanz doch Einbußen erlitten
hat, wirken die aus dem virtuosen Rausch in die
Meditation führenden Einleitungstakte dieser Kadenz
noch tiefsinniger, sprechender und nuancenreicher
als früher (was man früher gewiß nicht für möglich
gehalten hätte). Und während der junge Michelangeli
in einer Mailänder Aufnahme aus dem Jahr 1942 mit
einer furienhaft gejagten Strettawirkung am Ende
des ersten Satzes elektrisierte, führt der alte
Herr ein halbes Jahrhundert später lieber mit erlesener
Kennerschaft und überfeinerter Sensibilität in die
Binnenwelt des Andantiono grazioso, erhebt dieses
Intermezzo zum seelischen Kernstück des ganzen Konzerts. Warum
dann also Enttäuschung dar über, daß große Akkordstellen
mittlerweile etwas flacher und in ihrer metallischen Grundtönung nicht mehr
ganz so gerundet klingen wie einst, daß sich die
gewohnte Grandezza, Intensität und romantische Überredungskraft
erst im Finale beglückend ereignete? Weil es zur
Tragik der Perfektion gehört, daß sie zumindest
in mancherlei Hinsicht keinerlei Alternativen duldet.
Anders etwa als der greise Horowitz, der die nachlassende
manuelle Präzision mit einer bisweilen fast abenteuerlich
phantasievollen Neugier auf Interpretationsvarianten
zu kompensieren verstand, strebt Michelangeli Interpretationsidealen
nach, die von analytischem Formbewußtsein, betörendem
Klangsinn und technischem
Non-plus-ultra-Anspruch
gleichermaßen getragen sind.
Wenn sich
da dann auch nur der kleinste Makel einschleicht,
dann ist für einen Michelangeli die Kunstwelt nicht
mehr heil.. Ungetrübt
hingegen war der Erfolg für Celibidache und die
Münchner Philharmoniker , die nach einer überreich
dem Andante sostenuto frönenden „Le Carnaval romain"-
Ouvertüre von Berlioz einen wahren Triumph mit Prokofjews
fünfter Symphonie feierten. Prokofjew selbst hatte
dieses Opus 100 als Höhepunkt seines symphonischen
Schaffens betrachtet; und tatsächlich läßt es sich
als Ausgleich zwischen der Ironie mancher Jugendwerke
und dem Pathos der russischen Musiktradition deuten,
als Vollendung und Einbindung des „motorischen Stils"
ebenso wie der volksliedhaften Elemente in einen
großen architektonischen Zusammenhang. Und
Celibidache verstand es meisterlich, im Kopfsatz
Klanggebirge von archaischer Härte und Mussorgsky
- Wucht in gleichsam Brucknersche Dimensionen zu
bringen, im Scherzo die elegante Aggressivität des
Hauptthemas allmählich ins Groteske, ja Diabolische
zu steigern und die epische Breite des Finales zu
enormen Klangekstasen zu führen. Eine Weltklasseaufführung,
an der die Münchner Philharmoniker wahrlich begeistern
den Anteil hatten.
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