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Auch das gibt es ....

Salerno leuchtet


Beziehungsweise fast: Ein Freudenfeuer für den Bischof ersetzt ein Konzert mit Celibidache

Zu berichten ist vom eklatanten Fall einer Selbstverstümmelung. Salerno, südlich von Neapel gelegen, hat 160 000 Einwohner. Die Stadt ist berühmt für ihre außerordentliche Schönheit. Leider hat sie diese durch die Bauspekulation, unter anderem die Anlage des Industriehafens nicht außerhalb, sondern im Zentrum, und durch den damit verbundenen Verkehr so gut wie vollständig eingebüßt. Salerno ist auch berühmt für seine außerordentliche Medizinschule, die ebenfalls einen ganz kleinen Fehler hat: Sie ist seit siebenhundert Jahren geschlossen. Es war die älteste Universität Europas, um das Jahr 1000 gegründet, Jahrhunderte vor Bologna, Paris oder gar Oxford und Cambridge. Salerno ist berühmt wegen seines normannischen, 1085 geweihten Doms. Er hat den kleinen Schönheitsfehler einer Barockisierung im 18. Jahrhundert und der landesüblichen Vernachlässigung durch die Kurie. Salerno hat auch Museen. Sie sind, ein winziger Fehler, größtenteils chiusi per restauro. Salerno hat auch ein Opernhaus. Überflüssig zu sagen, dass das Teatro Verdi, einziger größerer Raum für Konzerte und Opern, seit 1980 wegen Restaurierung geschlossen bleibt. Salerno, dessen Musikleben daher mangels Strukturen praktisch inexistent ist, hat jedoch seit sieben Jahren ein aktives, attraktives Musikfest. Auch dieses hat einen klitzekleinen Fehler: Es ist vor wenigen Tagen gestorben.

Das „Salerno-Festival", das sich der Initiative des künstlerischen Direktors des „Ente Filarmonico", Vittorio Ambrosio, verdankt, ist das Unternehmen, zwar nicht tausend, aber wenigstens eine bunte Blume in der Wüste blühen zu lassen. Bescheiden genug der Umfang. Dieses Jahr der beginnenden Krise sah vom 10. bis 17. September Romantisches zwischen Schubert und Bruckner vor: drei Konzerte auf der mit Festivalmitteln restaurierten Tamburini-
Orgel des Doms, zwei Klavierabende und zwei Orchesterkonzerte. Ambrosio ist in zwei hartnäckigen Jahren gelungen, wovon viele Konzertveranstalter in der ganzen Welt nur träumen können. Er überzeugte den 81 Jahre alten, heiklen Sergiu Celibidache, der nie eine Freilichtaufführung dirigieren würde, mit seinen Münchner Philharmonikern, die an diesem Donnerstag ihr hundertjähriges Bestehen feiern, zwei Konzerte im Atrium des Doms von Salerno zu geben, am 15. und 17. September.

Seit dem April-Referendum ist das Ministerium für Tourismus und Schauspiel ab geschafft. Kultursubventionen kommen nun entweder von den Regionsregierungen oder, wie im Fall Salernos, dessen Festival als „international bedeutend" eingestuft wurde, von der Ministerpräsidentenkanzlei, die die Kompetenzen des aufgelösten Ministeriums interimistisch übernommen hat. Salerno bekommt wenig genug: rund 280 000 Mark. Das Gastspiel Celibidaches allein hätte mit allen Nebenkosten 540 000 Mark verschlungen; Sponsoren und Kasseneinnahmen sollten die Differenz tragen. Allein die technischen Einrichtungen (Tri büne für 1200 Zuhörer, Beleuchtung) wurden jedes Jahr vom Festival bezahlt, die Kirche kassierte lediglich Miete.

Der als gestreng und tüchtig beschriebe ne Erzbischof Guerrino Grimaldi, der stets den Dom zur Verfügung gestellt hatte, starb vor mehr als einem Jahr. Monsignor Gerardo Pierro, sein Nachfolger, hatte ebenfalls den Dom zugesagt. Bei den Verhandlungen über das Datum habe aber der Dompfarrer immer höhere Forderungen gestellt, klagt Ambrosio. Überraschend einige Tage vor Beginn des Festivals ließ dann der Erzbischof mitteilen, Dom und Atrium seien nur bis 10. September verfüg bar. Man müsse das Fest des Stadtpatrons, des Apostels Matthäus (21. September) vorbereiten. Das Datum kam der erzbischöflichen Kurie offenbar erst Anfang September zur Kenntnis. Aus inoffizieller Quelle aber erfuhr die Festivalleitung lange vorher, das Festival werde „nicht stattfinden". Unserem Versuch, die Haltung des Erzbischofs und der Kurie zu erkunden, war dasselbe Schicksal beschieden wie den Versuchen der Festivalleitung und des nach Salerno angereisten Intendanten der Münchner Philharmoniker, Norbert Thomas, zu einer konkreten Absprache zu kommen: Der Erzbischof ließ sich verleugnen, ein Monsignore verwies an den andern, keiner war verantwortlich, keiner wusste was. Thomas reiste wutschnaubend heim und sagte ab.

Salernos Stadtregierung ist - wie die vieler anderer Städte Italiens im Zusammen hang mit den laufenden Untersuchungsverfahren wegen illegaler Parteienfinanzieruung, Unterschlagungen und Korruption - vor mehr als zwei Monaten zurückgetreten, gegen manche Politiker wird ermittelt, manche sind flüchtig. Salerno wird kommissarisch vom Präfekten Antonio Latterulo regiert, der nach Auskunft von Kennern der einstigen Democristiana Zugehörigkeit zum Flügel Ciriaco De Mitas nachgesagt wird. Gegen De Mita und seinen Bruder wird ebenfalls wegen des Verdachts krimineller Tatbestände ermittelt. Der Erzbischof Pierro kommt aus Nusco, der Heimatstadt De Mitas. Das Geflecht der Inter essen zwischen Wirtschaftsbossen, habgierigen Geistlichen und Politikern ist handgreiflich und schwer zu zerreißen, wenn, wie in Salerno, der berufene Kommissar mit den zurückgetretenen Kommunalgewaltigen gemeinsame Sache macht.

Ein Erzbischof hat es fertiggebracht, dass auch außerhalb Italiens wieder von der sehr ruhmreichen, wenngleich etwas heruntergekommenen Stadt Salerno gesprochen wird. Ein Fall von Selbstverstümmelung. Monsignor Gerardo Pierro hat es fertiggebracht, Celibidache auf immer zu vergrätzen. Der Monsignore hat den Ruf Salernos, seines Festivals und ganz Italiens noch ein bisschen mehr ruiniert. Wer will schon mit einem italienischen Veranstalter einen Vertrag abschließen, wenn der vielleicht das Papier nicht wert ist, auf dem er niedergeschrieben wurde? Die Rechtsanwälte der Münchner Philharmoniker überlegen, ob Schadenersatz für die entstandenen Kosten eingeklagt werden soll. Der Beklagte wäre das Festival, das kein Geld hat und gegen die Kurie klagen müsste. Kommentar aus Salerno: „Die Pfaffen zahlen nicht, auch wenn sie verurteilt werden. Die zahlen nie." Alles in allem: Ein Sturm im europäischen Wasserglas, aus der beschränkten Sicht von christdemokratischen Lokalpolitikern und Dorfgeistlichen. Ihnen ist ihre Wählerklientel und das Feuerwerk für den Schutzheiligen (die Gemeindesubvention ist da) wichtiger als alle Kultur der Welt, vom Normannenkönig Robert Guiscard bis heute.

Dietmar Polaczek