zum Tode
zum Tode von Sergiu Celibidache
Wolfgang Schreiber (SZ) und Gerhard R. Koch (FAZ)
Pfahl
im Fleische der Musikkultur
Der
große Schwierige: Zum Tode des Dirigenten Sergiu
Celibidache
In
den späten siebziger und achtziger Jahren schien
nicht eben wenige, angeblich sogar auch Musikinteressierte
nur eine Frage umzutreiben: Wer wird Berliner Karajan-Nachfolger?
Durch die meist müßigen Diskussionen zog sich als
eine „idee fixe" der Name eines Dirigenten:
Sergiu Celibidache. Und regelmäßig, wenn der Name
fiel, polarisierten sich die Reaktionen zwischen
schier messianischem Augenverdrehen und entrüsteter
Abwehr. Doch Anbetung wie Verdammung mach ten eines
klar: Celibidache, Heiland oder Leibhaftiger, fungierte
als Katalysator, wenn nicht gar als Pfahl im Fleische
der Musikkultur. An ihm schieden sich die Geister
wahrhaft fundamentalistisch: Da ging es kaum mehr
um Musik, sondern um letzte Fragen der Ästhetik,
Ethik, des alleinigen Heils reinster Tonkunst -
auch als radikale Gegenwelt zum schnöden Kommerzbetrieb
der Kulturindustrie samt ihrer Medienkonzerne.
Daß Celibidache eine immense Begabung war, ein Besessener, daran hat es seit seinen Anfängen nicht den geringsten Zweifel gegeben. Nicht minder indes war der Ruf, ein ganz besonders Schwieriger zu sein. Diese Spannung hat das Faszinosum Celibidaches ausgemacht. 1912 im rumänischen Roman geboren, zog es ihn zum Musikstudium nach Berlin. Schon damals fiel der hoch gewachsene, gertenschlanke, exotisch anmutende junge Mann mit den schwarzen Korkenzieherlocken, der eleganten Erscheinung und dem vulkanischen Temperament ungemein auf: eine Mischung aus Charmeur, Torero, Diktator und visionär entfesseltem Chagall-Rabbi - ein Fanatiker der Präzision und Klangschönheit, geliebt vom Publikum, von den Musikern nicht zuletzt seiner unberechenbaren Wutausbrüche wegen gefürchtet. 1946 schlug seine Stunde: Wilhelm Furtwängler, sein großes Idol, durfte noch nicht dirigieren, die Berliner Philharmoniker bestellten ihn interimistisch zum Chefdirigenten. Bis 1952 leitete er das Orchester; und noch heute schwärmen nicht wenige von mancher Sternstunde. Als Furtwängler zurückkam, ging es nicht ohne Spannungen zwischen dem Altmeister und dem genialischen Feuerkopf ab.
Weitaus gravierender für Celibidache war 1957 die Entscheidung der Philharmoniker, Herbert von Karajan zum Furtwängler-Nachfolger zu küren. Für Celibidache wurde dies zum Trauma seines Lebens: Als Votum nicht so sehr gegen seine Person, sondern für ein falsches, verbrecherisches Zerrbild von Musik hat er diese Wahl zu rationalisieren versucht. Die Berliner Gründe waren sicher komplexer: Celibidaches überscharfer Tadel an den Musikern, Engpässe des Repertoires, allzu rigide Positionen gegenüber prominenten Solisten, auch die völlige Abstinenz gegen über der Oper - und nicht zuletzt die von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen unnachgiebige Verweigerung gegenüber der Schallplatte. Celibidache, obwohl damals gerade fünfundvierzig, stand plötzlich in vieler Hinsicht als der große Unzeitgemäße da, Karajan als der smarte Oberflächenperfektionist und Medienstar, aber auch überaus flexible Sängerbegleiter. Bis heute sind Karajan- und Celibidache-Parteigänger einander spinnefeind geblieben; obwohl auch da vermutlich manche Gemeinsamkeiten bestanden.
Celibidache zog sich grollend zurück, dirigierte viel in den romanischen Ländern oder Skandinavien, auch in Lateinamerika, mied aber vor allem Berlin und Wien. Celibidache wurde zur Ein-Mann-Opposition gegen den Rest der Musikwelt. Und da sein satirisch-sarkastischer Witz wie sei ne Lust am rhetorischen Pointen-Feuer werk hinter seinen musikalischen Fähigkeiten nicht zurückstanden, wurde er zur gefürchteten Diva verbaler Sforzati. In Celibidaches Ansichten, so leid- wie lustvoll überscharf formuliert, durchdrangen sich Hellsichtiges und Törichtes. Seine Äußerungen über Avantgarde, Berlioz oder Mahler, die akustischen Unmöglichkeiten der Oper, den musiktötenden Unfug der immer allmächtigeren Schallplatte, seine rabiaten Spitzen gegen eine Reihe von Dirigenten, aber auch prominente Politiker - nie ließen sie kalt, so ungerecht, ja absurd sie oft im einzelnen waren. Ein unruhiger Wanderer und unbequemer Rufer in der Wüste ist er gewesen und geblieben.
Erst spät wurde er seßhaft. Ausgerechnet an zwei Rundfunkorchester hat sich der fanatische Gegner der Tonkonserve gebunden: in Stockholm und Stuttgart. 1978 erklärte er sich bereit, die nach Rudolf Kempes Tod verwaisten Münchner Philharmoniker zu übernehmen. Er hat sie zu einem fabelhaften Orchester entwickelt, mit dem er exemplarisch seine Sicht von Musik an den großen Werken des deutschen, russischen und französischen Repertoires dokumentiert hat. Denn Dirigieren war für ihn nicht einfach Musikmachen, sondern tönendes Zur - Erscheinung - Bringen philosophischer, kompositorischer und akustischer Prinzipien. Eigene kompositorische Vorstellungen, Edmund - Husserlsche Phänomenologie, zenbuddhistisches Gedankengut und Ansichten vom elementaren Entstehen von Klang, vom naturhaften Wachsen von Musik aus sich selber heraus kamen da zusammen: quasi naturwissenschaftliches Kalkül und mystische Entrückung, nicht minder der oft despotische Dompteur, die eitle Pult-Primadonna und der heilige Franziskus der organischen Klangwerdung. An Widersprüchlichkeiten hat es Celibidache nie gemangelt.
Aber Celibidache hat es mit der Musik ernst gemeint. Er kannte die Partituren auswendig bis in die kleinsten Verästelungen, hielt sich nicht ans schlichte Schema von Melodie plus Begleitung, sondern tüftelte unablässig am Verhältnis von Linie und Klang, Horizontaler und Vertikaler, Rhythmus und Harmonik, Klang und Struktur, mikroskopischem Detail und schier unendlicher Großform. Viel gelästert wurde über Celibidaches langsame Tempi, ja manche Kritiker wollen gar den Hang zum Schleppen schon in den vierziger Jahren, allem Torero-Temperament zum Trotz, festgestellt haben. Doch die in späteren Jahren mitunter quälend über breiten Zeitmaße, elefantuösen Aufführungsdauern resultierten nicht selten aus dem Willen zur Deutlichkeit: je komplexer eine Partitur, um so mehr bedarf sie des weiten Raumes zeitlicher Entfaltung. In seinen größten Momenten gelangen ihm Aufführungen, in denen Raum und Zeit mystisch, eben im Sinne des Zen-Buddhismus, ineinander aufgingen. Genau dies vermißte Celibidache. an der Schallplatte: die Einmaligkeit der je einzelnen Wiedergabe im jeweils individuell auszulotenden Saal. Da hat er oft überperfektionistisch an der letzten Übereinstimmung aller Komponenten gearbeitet, indirekt also fast die Idealbedingung optimaler Studioproduktion avisiert. Doch um die stets neue dialektische Balance von Idee und Realisierung ging es ihm. Insofern steckten in ihm der zähe Bastler wie der spontane Improvisator.
Die elektroakustische Konserve hielt er für die Pest jeglicher wahrer Musikkultur: Daß alle Orchester wie alle Aufführungen aller Dirigenten virtuell immer austauschbarer klingen, schrieb er primär diesem Grundübel zu. Er beharrte auf der deutschen Klang-Tradition: dunkle Grundierung, solides Baßfundament, organische polyphone Schichtung, weicher Blechbläser-Ansatz, keine Knalleffekte, keine obertonreiche Brillanz um ihrer selbst willen. Kantabel differenzierte Phrasierung durch alle Stimmen war ihm wichtiger als schmetternder Schwung. Aber natürlich konnte er, zumal in jüngeren Jahren, das vitale balkanische Temperament weder zügeln noch leugnen; ebenso wenig den Klangsinn des Romanen, die Lust am kaleidoskopischen Spiel mit Ravelschen Valeurs.
Bruckner war immer mehr zu seinem Abgott geworden. Aufführungen sind ihm gelungen, die zur creatio ex nihilo bis hin zur schlechthin überwältigend überwölb ten Totale wurden. Guruhaft thronte der einst so selbstverliebt elegante Tänzer da auf seinem Stuhl vor dem Orchester, er zeugte mit minimalen Andeutungen maxi male Steigerungen. Interpretation geriet nicht selten zur individuellen Mythologie; die Reaktionen wurden auch zur Glaubenssache - zumal Celibidache es gar nicht mochte, las man in der Partitur mit.
Gewiß hatte Celibidache seine Grenzen des Musikverständnisses im Umgang mit einzelnen Komponisten wie Werken. Mit Haydn, Mozart und Beethoven tat er sich schwer. Musik der raschen, schnellen Impulse lag ihm weniger; der frische Elan, das spitze Staccato, auch die alerte Reaktionsschnelligkeit standen seinem Orchester nicht immer zur Verfügung. Die oft allzu (zeit)lupenhafte Versenkung in den Einzelvorgang führte manchmal zum sprichwörtlichen Den-Wald-vor-lauter-Bäumen-nicht-mehr-sehen-Können. Doch Celibidaches dialektische These, daß man um so mehr Proben brauche, je besser ein Orchester sei, hatte natürlich ihren Sinn: Hervorragende Musiker haben mehr Möglichkeiten, eine bestimmte Stelle zu artikulieren, und um so mehr Zeit fordere das Auskosten aller Kombinationen. Keineswegs zufällig waren seine Proben oft fast spannender als dann das Konzert: In ihnen begriff man, was für ihn Werk, Musik und Weltbild im Innersten zusammenhielt. In solchen Momenten stand er beeindruckend für das Ethos der Musik gegenüber dem Fast-food- und Wegwerfideal von Reise- und Medienstars oder „Senkrechtstartern", die die Partituren nicht selten nach der Platte studieren.
Um Celibidache, auch ein Pädagoge mit charismatischer Autorität und Ausstrahlung, haben sich ganze konzentrische Kreise von Gemeinden gebildet, die nicht selten allzu gläubig auch recht dubiose Auslassungen ihres Idols kolportierten, evidenten Schwächen mancher Interpretationen, nicht nur ihren überbreiten Tempi, mit sektiererischer Unbeirrbarkeit begegneten. Sie haben dem überragenden Musiker womöglich mehrfach größeres Unrecht getan als mancher Skeptiker, der dafür noch in den Beschränktheiten die Größe und innere Authentizität dieser Art, Musik zu machen, respektierte, ja gerade im Widerstreit bewunderte. In der Nacht zum 15. August ist Sergiu Celibidache im Alter von 84 Jahren in Paris gestorben, wo er auch beigesetzt werden soll: ein Mann in seinem Widerspruch. Die Welt der Musik ist ärmer geworden.
Gerhard R. Koch Frankfurter Allgemeine Zeitung 16.8.96
Treu der Musik - und
sich selbst
Sergiu
Celibidache ist in Paris gestorben
Ein großer Künstler, der Dirigent Sergiu Celibidache, ist tot. Eine Musikepoche in München, wo Celibidache die Philharmoniker seit 1979 als Chefdirigent leitete - deren Physiognomie und Klang er unverwechselbar formte - , sie ist endgültig zu Ende gegangen. Die neunte, letzte Symphonie Anton Bruckners im oberösterreichischen Sankt Florian zu dirigieren, war ihm also nicht mehr gegönnt -Ende September hätte das Gastspiel des Orchesters unter Celibidaches Leitung stattfinden sollen. Der Weg in die barocke Stiftskirche, unter der in einer Gruft der Sarkophag des Komponisten steht, hätte wohl eine letzte Erfüllung, einen künstlerischen „Heimgang" des 84jährigen, seit einiger Zeit gebrechlichen Dirigenten bedeutet. . .
Bruckners symphonische Breite, seine musikalische Gedankentiefe, die so nur in Johann Sebastian Bachs Musik aufleuchtende Verwandtschaft von Schönheit und Geometrie, die Mischung von endlos langem Atem der musikalischen „Rede" und phantastischer musikalischer Kombinatorik - ja, dieser alte Meister (der am 11. Oktober vor einhundert Jahren starb) war für Celibidache in den letzten Jahren der musikalische Fixstern schlechthin. So hörten wir also Bruckners unvollendete Neunte im September 1995 auch als Celibidaches Testament, ohne es zu wissen, jedoch es ahnend. Was noch folgte, waren zwei Abgesänge: Mitte Januar das Mozartsche Jeune'homme-Konzert und Beethovens „Eroica", vor zweieinhalb Monaten Beethovens zweite Symphonie, dazu Mozarts düsteres d-Moll-Klavierkonzert. Kostbare Erinnerungen.
Mit der Musik ernstmachen
Celibidaches Wirken bedeutete etwas Besonderes. Für Tausende von Musikfreunden in München und in jenen großen Konzertsälen der Welt, in denen Celibidache (seit anderthalb Jahrzehnten übrigens nur noch mit seinen Münchner Philharmonikern) gastiert hat, ist eines evident: Da ist jemand gestorben, der nicht nur große symphonische Partituren brillant oder machtvoll erklingen lassen konnte, sondern einer, der die Musik selbst radikaler ernst nahm als sonst üblich, und der dafür zeitlebens gekämpft, immer alles gegeben, riskiert hat. Dieser Ernst, der gewiß aus der Liebe zur Musik und zu „seinen" Musikern er wuchs, übertrug sich im Konzertsaal in der Regel auch auf die Zuhörer. Wie oft spürten wir es - und waren ergriffen, gebannt. Ergriffen natürlich nicht vom Dirigenten (über den Celibidache oft genüßlich lästerte: aus dem Taktstock sei noch niemals ein einziger Ton gekommen), sondern allein durch die Macht der Musik Beethovens oder Haydns, Tschaikowskys oder Bruckners, die unter seiner Leitung so plastisch erklingen konnte wie vielleicht nirgendwo sonst auf der Welt, so durchsichtig, geradlinig, aus ihrem Inneren so groß entfaltet - und nicht von außen dazu angetrieben, „gemacht".
Celibidache, im rumänischen Roman am 28. Juni 1912 geboren, kam mit 24 Jahren nach Deutschland. Berlin, die deutsche Musik, Kunst und Philosophie haben ihn geprägt (er hatte bis fast zuletzt den Westberliner Paß). Soviel Musik (und Musikwissenschaft und Philosophie) hat Celibidache in Berlin studiert, und doch lernte er das Dirigieren hauptsächlich in der Praxis. Celibidache hatte das Glück des richtigen Moments, nachdem er Naziherrschaft und Krieg als „ewiger" Student überlebt hatte: Weil Wilhelm Furtwängler (innerlich niemals Nazi) nach 1945 politisch kompromittiert und sein Orchester verwaist war, schleuderte es den jungen Rumänen mehr durch einen Zufall ans Pult des Paradeorchesters. Hier fuhr er, Heißsporn wie Intellektueller, wie ein Tornado zwischen die Musiker und in die Musiklandschaft, die alten Photos eines genialischen Pultstars sind noch heute eindrucksvoll.
Mehr als vierhundertmal leitete der junge Celibidache die Berliner, er selbst ebnete Furtwängler die Rückkehr, selbst los, dankbar - denn von ihm hatte er das Entscheidende, durch Live-Konzerte, gelernt: die unwiderlegbare Dynamik der Musik, das Lebendige des Klangs. Das Orchester jedoch entschied sich 1954 für Karajan als Furtwängler-Nachfolger -und Celibidache zog es in die Welt hinaus: Mexiko, Italien, dann Dänemark, Schweden.
Dort begann er auch das Unterrichten junger Musiker, was ihn bis zu seinem Tode nicht mehr losließ. Celibidache orientierte sich neu: Schluß mit dem die Musik oft nur durchrasenden Pultstar, hin zu einer vertieften Erkenntnis ihrer Klangphänomene und Strukturgesetze. Sein alter Lehrer Heinz Tiessen hatte ihm, so erzählte es uns Celibidache gern, die Leviten gelesen. 1975 bat ihn das Radiosymphonieorchester Stuttgart zu sich, dann die Münchner Philharmoniker.
Es scheint tatsächlich so: das Musikhören, das. Musikverstehen, das Klangbewußtsein - jedenfalls derjenigen, die sich den manchmal unbequemen Vorstellungen des Mannes nicht verschlossen -haben sich in diesen siebzehn Jahren, in denen Celibidache Generalmusikdirektor der Bayerischen Landeshauptstadt war, verändert; kaum merklich zunächst, dann immer stärker. Und die Münchner Philharmoniker wurden zu jenem „Weltorchester", das Celibidache - so wollte er von den Münchnern von Anfang an genannt sein - in Aussicht gestellt hatte, falls die Stadt bereit sei, die Bedingungen dafür zu schaffen: das Orchester quantitativ auf zustocken, qualitativ aufzuwerten. Er hat sein Versprechen gehalten.
Der Erfolg war hart genug erkämpft. Denn „Celi" - so wollte er freundschaftlich genannt sein in München - war nicht bloß am Beginn seiner Münchner Zeit leidenschaftlich umstritten. Gehörte er doch zu jenen, die, ohne es zu wollen, allein durch ihre hochgesteckten Ziele und ihre Kompromißlosigkeit polarisieren: bei Musikern, bei Kulturpolitikern und Kritikern, beim Publikum. Eine Figur wie Celibidache - unangepaßt, jede musikalische und menschliche Schlamperei geißelnd, unnachsichtig Schelte gegen viele Kollegen austeilend - versetzte immer alle in Alarmbereitschaft: Celi begeisterte die einen und nervte die anderen.
Vielen ist die Krise, der große Krach von 1984/85 noch in lebendiger Erinnerung. Der „Maestro", wie er von allen wie selbstverständlich angesprochen wurde, sah sich nach kurzer schwerer Krankheit und darauf folgenden Konzertabsagen von der Orchesterleitung verraten, er grollte München, drohte mit Weggang. Wochenlang schien es hier nur ein kulturpolitisches Thema zu geben: Kommt er wieder oder nicht (ich durfte ihn schließlich in seiner Pariser Wohnung zu drei Gesprächsterminen aufsuchen), triumphal erschien er Anfang 1985 wieder zu rück im Herkulessaal, nachdem der Orchesterdirektor so gut wie entmachtet worden war, Celi den glücklicheren Kulturreferenten wieder in die Arme schloß.
Dann wurde im Herbst desselben Jahres endlich die Philharmonie im Gasteig eröffnet (Celibidaches Programm des Festkonzerts exquisit, natürlich äußerst umstritten: Heinrich Schütz‘ „Exequien" zum Gedenken an Krieg und einen zerstörten Konzertsaal, Bruckners Fünfte als Überwölbung). Und die große Zeit der Reisen, der Ernte von jahrelanger Aufbauarbeit, konnte beginnen: Japan mehrmals, Rußland, Rumänien, die Vereinig ten Staaten und Kanada, wieder Südostasien, Lateinamerika, fast alle großen europäischen Musikstädte, außer - leider - London. Das Publikum - kein Plattenruhm war ihm irgendwohin vorausgegangen - war beeindruckt und jubelte, die Musikkritiker hatten oft genug ihre Hörkategorien neu zu ordnen, vielen gelang es auch: aufschlußreich noch immer die Lektüre...
Geheimnisse . . .
War Celibidache schwierig? Und was war das Geheimnis seines Dirigierens, seiner Wirkung, der Faszination, die er ausstrahlen könnte? Sein Geheimnis lag zunächst so offen auf der Hand wie auch seine Proben offen waren für jedermann. Es ging Celibidache um die Musik, nicht um Macht oder Prestige, die man mit ihr erringen kann (daß er nicht weniger Gage haben wollte als jene Musiker, die es sich bequemer einrichten, gehört sozusagen zum Thema Gerechtigkeit, zum Stolz, den Celibidache sehr wohl besaß). Sein Ziel war es, auf direkte, natürliche Weise - nicht über den Umweg von Erklärungen, nicht durch „Denken", wie er nicht müde wurde zu warnen - die Menschen zur Musik hinzuführen. Andere erleben zu lassen, wie Musik entsteht.
Celibidache war beim Dirigieren ganz bei der Musik, im Augenblick präsent. Er kannte die Partituren und dirigierte - ein Geheimnis? - doch nicht aus dem Gedächtnis, routiniert, sondern aus dem Er leben. Eine kindliche Fähigkeit. Und dies war für ihn das Wichtigste: Musik, die merkwürdig flüchtige Zeitkunst, ist nicht, sondern sie entsteht und vergeht im Augenblick. Nichts anderes lag der Tatsache zugrunde, daß Celibidache keine Schall platten aufnahm - für ihn unerlaubte Fixierungen einer Kunst, die vor allem eines ist: lebendig. Alles opferte er an scheinend dafür, daß er genügend Probenzeit erhielt, um die Musik richtig zu erarbeiten.
Andere Geheimnisse? Höchstens die Kraft seiner Persönlichkeit zur Intransigenz, der Mut zum Kampf für seine Musiker - um gute Bedingungen für die Musik. Aber vor allem seine besondere Fähigkeit, Musik nicht verdinglicht, sondern in ihrem Entstehen, als lebendigen Prozeß zu gestalten - sie hörend zu erfassen in allen ihren melodischen Linien, Rhythmen, Klangfarben und dynamischen Facetten einer großen symphonischen Partitur. Wer jemals in Celibidaches Proben saß, hat wohl nicht nur das Handwerk, das Gedächtnis, sondern vor allem das unglaublich wache Hörbewußtsein Celibidaches bewundern gelernt.
Der Tod Sergiu Celibidaches, so sehr er schmerzt, schafft in München nun klare, doch nicht leicht zu gestaltende Verhältnisse für die Zukunft. Celibidache war der gewiß interessanteste Außenseiter des Musiklebens, ein Figur wie aus Granit, der die Musik und ihre Würde kompromißlos verteidigte. Ein Glücksfall für München. Will die Stadt das Andenken dieses Mannes, dem sie soviel verdankt, hochhalten und ehren, dann muß sie dafür sorgen, daß Celis Orchester das hohe Niveau halten kann, und daß es den Geist der Musik nicht an billigeren Schauplätzen verschleudert, an den omnipräsenten Kommerz verrät.
Die Plattenindustrie - der Markt ist schon gut bestückt mit Raubpressungen jeglicher Couleur und Qualität - macht gewiß einen Zugewinn mit Celis Rundfunkbändern, wir aber, die wir atemlos in den Konzerten und Proben saßen, werden noch lange - und immer wieder - an diesen großen Dirigenten denken. Was die Musikwelt verloren hat, das wird vielen erst im Lauf der Zeit deutlich werden. Was bei denen, die ihn in Konzerten und beim Unterrichten erlebt haben, bleibt, ist vor allem: Dankbarkeit
Wolfgang Schreiber, Süddeutsche Zeitung 16.8.96