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Interview mit Serge Ioan Celbedachi


Von Teresa Pieschacon Raphael

 

Serge Ioan ist Regisseur und Produzent und der Sohn des Dirigenten Sergiu Celibidache:
„Ich könnte ein ganzes Leben mit meinem Vater beschäftigt sein. Aber das hat keinen Sinn"

Ihr Vater Sergiu Celibidache ist in diesem Jahr 10 Jahre tot. Weiche prägnanten Erlebnisse verbinden Sie mit ihm?
Er war fast wie ein Großvater, der Altersunterschied war sehr groß. Ich bin ja erst vierunddreißig. Er hat mir die Liebe zur Natur und zur Musik vermittelt. Ich muss bereits als Kleinkind ein sehr enges Verhältnis zu ihm gehabt haben. Ich erinnere mich nicht daran, aber man erzählt es. Es war bei einer Probe in Bologna, da war ich vier oder fünf. Da habe ich angefangen zu weinen, weil ich dachte: er kämpft mit all diesen Leuten und er ist so allein. Ich wollte ihn beschützen.

Ausgerechnet ihn, dem unberechenbaren Pultyrannen per excellence?
So sind Kinder eben.

Wann merkten Sie, dass Sie der Sohn eines außergewöhnlichen Menschen waren?
Schon bereits sehr früh. In der Schule sprachen die Lehrer mich alle auf meinen Vater an. Sie erwarteten alle, dass ich der Beste bin. Ich durfte nie mittelmäßig sein. Ich hatte Gott sei Dank gute Freunde, denen war das egal. Die hatten keinen Bezug zur Musik.

Von Goethes Sohn August weiß man, dass er gescheitert ist. Wie schwer ist es für Sie mit diesem Erbe zu leben?
Ich habe zu viel Freiheit gehabt, ich bin zu sehr verwöhnt worden. Das ist ein Risiko. Mein Vater war ja oft nicht zuhause, und wenn er kam, hat er viele Geschenke gebracht. Das ist gefährlich; mein Leben hätte auch in Richtung Katastrophe gehen können. Zudem war ich das Kind von zwei Künstlern, meine Mutter ist es ja auch. Ich habe zu viel selbst entscheiden müssen. Die Orientierung war zwar von meinem Vater gegeben. Dennoch lagen die Entscheidungen immer bei mir und Gott sei Dank habe ich nicht immer die falschen Entscheidungen getroffen. Auch über den Beruf durfte ich frei entscheiden. Nur Dilettant durfte ich nicht sein.

Wäre eine Laufbahn als Musiker für Sie überhaupt in Frage gekommen?
Ich habe mit Gitarre angefangen und dann sofort Klavier. Mit zehn Jahren war es für mich ganz klar: wenn meine Vater diese Perfektion erreicht, dann habe ich als Sohn keine Chance. Immer wenn mein Vater nach Hause kam, habe ich aufgehört zu üben. Er hatte immer etwas zu sagen. Wir haben aber auch viel Jazz gespielt. Er hat mir vieles gezeigt, das Improvisieren etwa. Das war für ihn sehr wichtig: Aktiv beim Hören, aktiv beim Spielen, aktiv beim Ton sein. Er hat immer die Leute dazu aufgefordert: genau zu hören, was im Moment passiert und auf den anderen zu hören.

Inwiefern war der Name Celibidache eine Chance für Ihren beruflichen Werdegang?
Es war mehr ein Problem als eine Chance. Es ist schade, aber es ist so. Der Druck war immer da. Es gab keine Freiheit für mich. Ich wollte meinen Vater nicht schaden. Ich wollte ihn nicht stören. Aber irgendwann habe ich mir gesagt; ich bin auch da und ich darf auch meine Fehler machen. Deshalb bin ich nach Amerika...

... An die Indiana University in Bloomington, um Dramaturgie und Theater zu studieren
Ich dachte, dort kennt man mich nicht. Ich war kaum dort, in „the middle of nowhere", und schon bekam ich einen Anruf vom Department of Music. Das war schon ein bisschen seltsam.

Sie schlossen Ihr Studium ab, absolvierten den Wehrdienst in Frankreich als Regieassistent bei der Cinema des Armees, doch der Vater Hess Sie nicht los?
Ja. Ich kam 1994 zurück, um das Dokudrama „Der Garten Celibidaches" zu drehen. Gedreht wurde in München und in einer Mühle bei Neuville-sur-Essone, einem Nest neunzig Kilometer südlich von Paris. Mein Vater hatte das Anwesen gekauft und eigenhändig umgebaut. Hier konnte er Ruhe finden, hier ist seine Seele. Über hunderttausend Zuschauer auf der ganzen Welt sahen den Film.

Eine Szene habe ich nicht vergessen: wie Ihr Vater die Hunde füttert. Begierig umkreisen sie ihn, schlecken ihm die Hand ab, während er auf sie in einer Mischung aus Selbstgefälligkeit und innerer Eintracht herabblickt. Geschickt dazwischen haben Sie Szenen aus Orchesterproben geschnitten. Beabsichtige Parallelen?
(lächelt) Ja, auf jeden Fall. Ich habe versucht, ein bisschen Humor hineinzubringen. Als Kind habe ich immer gedacht, das Verhältnis unter den Schülern meines Vaters sei harmonisch; später erst erfuhr ich, wie zerstritten sie alle untereinander sind, wie sehr sie kämpfen.

Als Regisseur durchliefen Sie auch einen persönlichen Lernprozess...
Am Anfang habe ich alles unter Kontrolle haben wollen, so wie mein Vater. Dann aber merkte ich, dass meine Vision nicht so genial war, also konnte der Film auch nichts Besonderes werden. Mittelmäßig - wie man selbst - werden die Dinge, wenn man über sie allein bestimmen will. Wenn man ein Genie ist, dann kann man auch ein Diktator sein. Doch wenn man es nicht ist, dann wird es schwierig. Ich setze nun auf Synergien, meine Aufgabe als Regisseur ist, diese Energien zu sammeln.

1996 starb Ihr Vater
Sein Tod hat mich sehr berührt. Es hat lange gedauert, bis ich mental wieder fit war. Es war sehr schwer. Jetzt habe ich selbst eine Familie, es ist alles etwas ausbalancierter. Doch ich vermisse ihn.

Sie gründeten in London die Produktionsfirma Ce!i Films. Nun schreiben Sie Drehbücher...
Jetzt versuche ich in Hollywood einen Film unterzubringen, dessen Drehbuch sehr viel mit meinem Vater zu tun hat. Es ist die Geschichte eines Musikers, der aus Rumänien nach Berlin kommt. Inspiriert von den Erzählungen meiner Mutter habe ich ein Drehbuch angefertigt, eine Geschichte um ein Genie und seinen Kampf. Ich muss allerdings aufpassen, dass daraus kein Kitsch wird, dass es nicht zu kommerziell wird. Das Drehbuch ist da, die Kontakte ebenso, jetzt bin ich auf der Suche nach einen Agenten, und nach einem Verleih. Es ist ein sehr hartes Geschäft.

Sie veranlassten Celibidache CD Editionen eigentlich gegen den Willen Ihres Vaters, der Schallplatten verabscheute und behauptete, sie anzuhören sei wie Geschlechtsverkehr mit einem Foto von Brigitte Bardot.
Ich war schon sehr im Konflikt. Mein Vater war auf diesem Gebiet sehr eigensinnig. Doch mehr und mehr Raubkopien, „Piraten-CDs" überschwemmen nun den Markt. Viele Leute missbrauchen seinen Namen und das muss ich verhindern. Wir müssen als Familie auftreten, das Geld kommt sowieso nur der Stiftung zugute. Ich mache das nicht für mich.

Die Unterzeichnung des Exklusiv-Vertrages mit der Deutschen Grammophon 1998 bedeutete also die Grundlage zur Gründung der Sergiu Celibidache Stiftung München?
Ja. Dennoch, die Stiftung aufzubauen war sehr sehr schwer. Niemand hat daran geglaubt. Alle sagten mir, es bringe nichts, aber für mich ist es die logische Fortsetzung des Wirkens meines Vaters.

In Zusammenarbeit mit der Bayerischen Theaterakademie August Everding riefen Sie 2002 sogar das 1. Sergiu Celibidache Festival in München ins Leben.
Es ist das einzige was ich für meinen Vater tun kann. Ich will meinem Vater kein Denkmal setzen. Nein, ich will sein Konzept der Phänomenologie weiter tragen, einen Impuls an die junge Generation geben. Seine Energie muss wieder gefunden werden. Musik muss wieder auf eine andere Weise erklingen. Zudem werden wir ein Filmfestival, Gesprächsrunden und Vorträge sowie Meisterklassen und Kurse anbieten. Ein Festival der Künstler soll es sein.

Wo finden Sie Unterstützung? Ihr Vater hat doch alles daran getan, es sich mit jedem zu verderben.
Nicht alle Türen sind geöffnet. Das stimmt. Ich bin zu nahe an der Sache, dass ich sagen könnte wie es wirklich wird. Wir müssen es einfach probieren

Hat Kuratoriumsmitglied Ida Händel etwa vergessen, dass Ihr Vater sie zwar eine glänzende Musikerin „aber als Frau eine Fleisch fressende Pflanze" nannte? Und von Kuratoriumsmitglied Daniel Barenboim als Dirigenten hielt er auch nicht viel.
Frau Händel hat es nicht vergessen, sie ist aber musikalisch genug, um zu verstehen, wie großartig mein Vater war. Andere Leute vergessen aber nicht.

Wie kann sich so ein Festival tragen ohne die charismatische Persönlichkeit Ihres Vaters?
Es soll ja nicht direkt mit der Persönlichkeit zu tun haben. Wir versuchen nicht meinen Vater zu ersetzen. Die Summe ist mehr als das Ganze. Jeder wird eine Facette beitragen. Die Energie muss wieder gefunden werden. Und wenn nur eine Person bewegt ist, dann haben wir schon sehr viel erreicht.

Teresa Pieschacon Raphael
Veröffentlicht bei Arte TV