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Radio Sinfonie Orchester Stuttgart



Presseauschnitte


von Live Konzerten des Radio Sinfonie Orchesters Stuttgart zur Celibidache - Edition der Deutschen Grammophon.

 


Manfred Gutscher in den Stuttgarter Nachrichten zum Konzert am 4. April 1974
Bruckner Sinfonie Nr. 9

Celibidache huldigte in seiner Darstellung der neunten Sinfonie nicht dem frommen Meister von St. Florian, auch nicht unbedingt dem sinfonischen Großraumarchitekten (obwohl er, souverän zusammenfasste), sondern verzeichnete, gewissermaßen die Linien ihrer Herzströme. Da gab es mit einem Mal unbeschönigte Krisen, spürbare Beklemmungen, ja manisches Festhalten zur fixen Idee gewordener Motive, aber auch befreiende Lösungen, Einschwingen ins Kosmische und Töne musikalischer Prophetie. Wenn Celibidache hier außerdem sehr weit darin fortschritt, alte Klangmagie zu verinnerlichen, so verzichtete er doch keineswegs darauf, das Schicksal oder seine musikalischen Stellvertreter mit aller Härte an die Pforte pochen zu lassen.

Entsprechend weit war der Radius der Orchesterleistung. Von minimalen Unebenheiten bei einigen Soloeinsätzen abgesehen, bot das Südfunk Sinfonieorchester denn auch wieder ein neuerliches Zeugnis seines derzeit, hervorragenden musikalischen Standards. Die Holzbläser erreichten bewundernswerte Transparenz, indem sie Ebenen des Melodischen und Harmonischen zugleich polyphon aufs feinste schlichteten, ,das Blech bewies ebensolche Kapazität im Genre des Weihevollen wie in stechenden Attacken, und der äußerst homogene Streichkörper enthusiasmierte mit den weitgeschwungenen, sphärisch gefärbten Bögen gerade in den getragenen Teilen.

 

Jürgen Hiller in der Pforzheimer Zeitung zum Konzert am 28. 11. 1975
Prokofiev Skytische Suite "Ala und Lolly

Diese Musik ist Celibidache wahrlich auf den Leib geschrieben, mit seiner parodistischen Gestik zeichnet er einmal messerscharfe Rhythmik, dann wieder anschmiegsame Verklärtheit, es stimmen die dynamischen Proportionen, die vom schwebenden Pianissimo bis hin zur brachialen Gewalt reichen. Daß Celibidache es wie kein anderer versteht, auch die letzten im Orchester schlummernden Reserven zu mobilisieren, zeigte sich in dem überwältigend leuchtendem Orchesterglanz gestalteten Sonnenaufgang, mit seiner frenetischen Klangsteigerung und der faszinierend befreienden Schlußwirkung.

 

Manfred Gutscher in den Stuttgarter Nachrichten zum Konzert am 11. April 1976
Brahms Sinfonie Nr.2

....Mag sein, dass es ein bisschen spleenig war, auch bei diesem Meister mit einem "gestoppten", quasi unhörbaren Pianissimo zu beginnen jedenfalls blühte die Musik dann im Verlauf schnell immer reicher und vielfältiger auf. Dabei fesselte Celibidache nicht nur mit seinem, phänomenalen 'Klangsinn, sondern darüber hinaus mit der Gabe, gewissermaßen als musikalischer "Biologe" das Gras, sprich:, die Töne wachsen zu hören. Wie er Themen einführte, etwa den wunderbar gespielten Cellogesang im ersten Satz, wie er Neues daraus entstehen ließ, wie er später Kontrapunkte zuordnete und ableitete - das war ebenso logisch und konsequent, wie es ideal mit dem Wesen, dieser aus der Natur geschöpften Musik harmonierte.

Der Wunsch, sich keine Möglichkeit entgehen zu lassen, ausgesuchte Klangdelikatessen ins Spiel zu bringen, prägte dann vornehmlich das Bild der Mittelsätze, wo Celibidache allerdings auch nicht immer auf manieristische Valeurs verzichten mochte. Andererseits Hut ab vor der unerhörten Orchesterkultur und vor Celibidaches handwerklichem Instrumentarium, welches jeden der Radiosinfoniker, der auch nur ein Detailargument zur Sache vorzutragen hatte, souverän selbstverständlich hervorholte und alles andere unauffällig zurücktreten ließ! Nicht minder aus balanciert präsentierte sich auf formaler und emotioneller Ebene das Mit- und Gegeneinander schwärmerische und rustikaler weiter fliesender und hymnischer Gesten.

 

Peter Dannenberg in der Stuttgarter Zeitung zum Konzert am 22. 06.1976.
Mussorgsky "Bilder einer Ausstellung", Strauss "Don Juan" und  Ravel Rhapsodie espangnol

...In dieser Aufführung wurde demonstriert, dass diese Musik allen , rhythmischen und instrumentatorischen iberischen Finessen Mustern zum Trotz, nichts folkloristisches an sich hat. Celibidache zeigt, dass hier alles Manier, nichts natürlich ist. Wo andere Dirigenten zumindest in der Schlussnummer der Feria rasendes Olé Temperament beweisen zu müssen glauben, bleibt er der weltmännische Charmeur, den nichts außer Fassung bringt und, der die delikaten atmosphärischen Brechungen und Wandlungen elegant im Rhythmischen, zuweilen einen grandezzahaften Rubato Schlenker aus der Manschette schüttelnd, verwirklicht. Im Dynamischen bewegt er sich dabei fast immer in der unteren Skala und zaubert Feinstufungen hervor, wie man sie vorzugsweise beim Blech technisch für kaum mehr möglich hält. Überhaupt: welche Spielkultur, welche blankpolierte Transparenz die Radio Sinfoniker entwickeln können, das wird an derartigen Partituren immer wieder offen bar. Kürzlich haben die Bamberger die Rhapsodie espagnole in der Liederhalle aufgeführt hier jetzt, mit dem Südfunk Orchester, meint man doppelt soviel Noten wie damals gehört zu haben.

Die "Bilder einer Ausstellung" besichtigte Celibidache mit gesammelter Kennermiene, die sich Zeit nimmt Schon in den Gängen und Zwischengängen der Promenade, zuweilen im halben Tempo im Vergleich zu gängigen Interpretationen gespielt, wurde der Schritt so abgebremst, dass aus den Spazierwegen Kunstbilder von Spaziergängern wurden. Mit dem "Gnomus« schien man in einen naturalischen Salon eingetreten zu sein, so schmerzlich deutlich zeichnete Celibidache die Falten und Narben des böse   traurigen Zwergengesichts nach. Dann aber kehrte man doch zu den Impressionisten zurück. Keine tonmalerischen Illustrationsbemühungen waren zu hören, sondern Stimmungsbilder, einige aufregend bizarr, ein jedes vom an deren scharf abgesetzt bis sich Celibidache endlich mit ziemlicher Gewalt sich durch das Große Tor von Kiew, sich aus dem Grundtempo und der dynamischen Grundhaltung immer mehr steigernd, in eine Final   Apotheose begab, die der Aufführung nun auch noch ein dramatisches Moment hinzufügte.

Straussens Don Juan als Einspielstück, das kann recht heikel sein, wurde etwas heikel auch, weil die stürmischen Aufschwünge des Anfangs ohne viel Feuer mit einigen leicht verwischten Streicherfigurationen nachvollzogen wurden, bis sich Celibidache daranmachen konnte, mit viel agogischen Finessen und klanglichen Abgefeimtheiten Heldenwege und Frauenerscheinungen zu verfolgen. Da fing sich die Aufführung, gewann Kontur, und wie am Ende der letzte leidenschaftliche Ausbruch und, nach unerhört breit gezogener Generalpause, das matte Ersterben verwirklicht wurde, das war schon sehr spannend anzuhören.

 

Peter Dannenberg in der Stuttgarter Zeitung zum Konzert am 21. 10.1976.
Brahms Sinfonie Nr.1

...Schließlich von Brahms die Erste, die manchen latenten, bisweilen sicher berechtigten Zweifel an den Brahms Interpretationen Celibidaches widerlegte, ihn als Brahms Dirigenten rehabilitierte (falls das nötig gewesen sein sollte) und legitimierte: Großbögiger Spannungsatem und gleichwohl eine Ziselierung ins Detail, die Bülows Bonmot von Beethovens "Zehnter" ad absurdum führt und klarmacht, dass neben Rhythmischem, Harmonischem und Melodischem auch die Klangfarbe bei Brahms durchaus einen bestimmenden Stellenwert gewinnt. Nichts tunkig angerührt; Mittelstimmen und Nebenstimmen stets profiliert; die Dynamik hin und her pendelnd. Über Einzelheiten könnte man lange schwärmen: wie die Pizzicato Passage des vierten Satzes in ein geisterhaftes Pianissimo weggetaucht wird und in einem plötzlichen Accelerando am Schluss gespenstisch hochschnellt. Oder wie der Hornruf aus weiter Ferne zärtlich heraufklingt und der Posaunen Choral ohne alle Direktheit als ein gedämpftes Echo in den Satz gebettet wird.

 

Jürgen Hiller in der Pforzheimer Zeitung zum Konzert am 19. 11. 1976
Brahms Sinfonie Nr.3 und Ravel "La Valse"

...Celibidache versteht es genial, die durchbrochene Satzweise aufzufächern, ohne es, bei aller Detailsorgfalt, zu rhythmischen Schwankungen kommen zu lassen. Die Ecksätze nahm er sehr gelassen, das Finale hört man kaum je so stämmig und ruhig. Sehr bewegt zeichneten sich die Mittelsätze ab, die in den Tempis fast gleich waren.

Ravels einzigartige Instrumentationsfähigkeit erzielt in seinem Walzerpoem "La Valse" Klangeffekte die an Hexerei grenzen. Leidenschaftlich bewegte Walzerthemen wechseln mit zärtlich einschmeichelnden ab, dazwischen setzen sich immer wieder herbe Bläserrhythmen durch, die das Klangbild zerreissen. Celibidache ist hier bei Ravel in seinem Element, er nimmt dieses Stück zur Demonstration seiner unnachahmbaren Gestik, die jedes Orchester zu ungewöhnlichen Leistungen mitreißen läßt; das RSO nahm diese Aufforderung an.

 

Gerth Wolfgang Baruch in der Stuttgarter Zeitung zum Konzert am 23. November 1976
Bruckner Sinfonie Nr. 8

Es war ein wahres "Meisterkonzert„, dieser Abend: das Radio Sinfonie - Orchester Stuttgart spielte unter Sergiu Celibidache nur ein einziges Werk, die Achte Sinfonie von Anton Bruckner in der zweiten Fassung aus dem Jahre 1890. Wer Celibidaches enormen Klangsinn schätzt, wird nicht erstaunt sein, dass die Wiedergabe des Werkes in hohem Maße auf Farbgebung abgestellt war. Doch wäre es ganz falsch, daraus zu schließen, die Interpretation habe koloristischen Effekten gehuldigt. Für Celibidache ist Bruckners Instrumentation kein schmückendes Beiwerk, sondern eine wesentliche Komponente des schöpferischen Akts und damit Ausdruck des musikalischen Inhalts. Wie sinnreich er das Klangbild entwarf, zeigte sich vor allem bei den Verklammerungen und Reflexen der Themen, bei Modulationsverläufen, Symmetrien und Parallelismen. Schon unter diesem Gesichtspunkt war es von früheren Dirigenten geradezu vermessen, Bruckner Sinfonien umzuinstrumentieren.

Bruckner als Magier der Orchestration war nicht Celibidaches einzige Überraschung. Zweifellos ist er kein kalter Verstandesmensch, der Werke skelettiert, bis die Strukturen zerbröckeln. Aber selten wird eine Aufführung von Bruckners Achter solch eine geistige Spannweite und analytische Klarheit haben, die den Blick in den Schaffensprozess freigibt. Bei dieser Mentalität verbietet sich von selbst alles Pathetische und Larmoyante, alles Theatralische und Ekstatische, alles Mystische und Transzendentale. Celibidache hält nichts von den programmatischen Erläuterungen, die Bruckner in den Mund gelegt werden. Er baut keine sinfonische Kathedrale, in der die Musik zum tönenden Ge bet wird. Er braucht die musikalischen Vorgänge nicht mit Weltanschauung zu befrachten, um das Organische der Brucknerschen Form zu begreifen, die Steigerungen natürlich zu entwickeln, die Proportionen richtig zu verteilen, die Musik plastisch zu artikulieren.

Zu einer objektivierten Auslegung der Partitur gehört eine klug dosierte Dynamik. Celibidache vermeidet alle pseudodramatischen Akzente und forcierten Entladungen. Er nimmt dem Blech jede Brutalität und zielt auf einen runden, vollen, von der Orgel abgeleiteten Klang, selbst in den Kulminationspunkten. Nur ein einziges Mal, nämlich in den Trompetenfanfaren des ersten Hauptthemas der Finalexposition, wird man an das Wort vom Wachtparadenjubel erinnert, über den der Bruckner Gegner Hanslick ehemals seinen Spott ausgoss.

Das Radio Sinfonieorchester Stuttgart war bis ins kleinste Detail vorbereitet worden. Selbst den Harfen verging die Neigung zum Mogeln. Sie durften ihre Passagen nicht hinwischen, sondern mussten auch die Sextolen hörbar bis zur letzten Note ausspielen. Nach der überwältigenden C-dur - Apotheose löste sich nur langsam die Spannung, mit der die Konzertbesucher anderthalb Stunden zugehört hatten.

 

Dieter Schorr in der Stuttgarter Zeitung zum Konzert am 30. 10. 1979
Prokofieff Sinfonie Nr.5  Schubert Sinfonie Nr.5

... Schuberts 5. brachte den Hörern akustische Delikatesse, die sich im Andante con moto allerdings eher ausnahm wie nachmittägliche Meditionen des Debussy Fauns in Wiener Sommerhitze; während eventuell anwesende Laienmusiker und Dirigenten immerhin die superbe Gelegenheit erhielten, zu erfahren, wie gepflegt und dynamisch unaufwendig sich dieses beliebte Stück spielen lässt.

Zum Schluss Sergei Prokofjews 5. Sinfonie B-dur op.100 von 1944, im Gegensatz zur sonstigen Motorik des prominenten Russen eher melodiös konzipiert, befreien der wirkend, durchaus unromantisch. Erst ganz zum Schluss des letzten der vier Sätze klingt die Kompaktheit des Großorchesters auf. Auch dieses Werk gab Celibidache Gelegenheit, seiner Vorliebe für feine Zwischentöne, verhaltene Akzente und dynamisches Feinspiel zu frönen, ohne dass ihm die kunstvoll gebaute und instrumentierte Musik unter den Händen zerronnen wäre.

Das Radio Sinfonie Orchester Stuttgart bot einen Standard, der ähnlichen anderen Orchestern meist nur als einsamer Höhepunkt gerät. Auch hier gilt es, einstige Skepsis zu revidieren: Dank Celibidaches kontinuierlicher Arbeit hat dieser Klangkörper ein Selbstbewusstsein erlangt, das sich nun in nahezu ebenso kontinuierlicher Qualität des Spielniveaus niederschlägt.

 

Horst Koegler in der Stuttgarter Zeitung zum Konzert am 8. November 1979
Strauss Ein Heldenleben

...Sein späteres "Ich mag's gar nicht so besonders" zeugte immer hin von couragierter Selbstkritik. Ihr kann man aus heutiger Sicht nur beipflichten. Das tun auch Publikum und Konzertveranstalter im allgemeinen, bei denen sich Straussens Opus 40 nicht gerade übermäßiger Beliebtheit erfreut. Die Dirigenten denken da allerdings anders, wie die gerade jüngst veröffentlichten Schallplatten - Neuaufnahmen von Solti und Maazel beweisen. Einem nicht unbedingt dringenden Nachhol- bedürfnis abzuhelfen, haben also Celibidache und der Süddeutsche Rundfunk wieder einmal eine Rettungsaktion am "Heldenleben" unternommen und auch in diesem Fall für eine gehörige Überraschung gesorgt; denn wer erwartet hatte, dass Celibidache und die Radio Sinfoniker hier nun ein Musicorama von gleißender Farbenpracht und -fülle entwerfen würden, dass sie in Makart Pomp und Corinth Wollust schwelgen und eine Virtuositätsparade von Musikereitelkeiten inszenieren würden, erlebte mit, wie die imperiale Attitüde eines allzu ungebrochenen männlichen Selbstbewusstseins permanent durch Subtilität und Sensibilität unterlaufen wurde.

Da spitzte man schon gleich beim Auftakt die Ohren, als den Streichern und Hörnern ihr Imponiergehabe durch die knappen Holzbläsereinwürfe gründlich vermiest und durch die folgende, nicht übersüßte Liebeserklärung der Oboen und zweiten Geigen quasi ironisiert wurde. Nicht etwa, dass diese Ironisierung auch den folgenden Verlauf bestimmt hätte. So zeichnete Andreas Röhn, als Soloviolinist gewissermaßen eine Rockrolle übernehmend, ein eher trocken biederes als kapriziös launisches Bild der Frau des Helden das "etwas sentimental" keineswegs über Gebühr auskostend. In Röhns Interpretation gewinnt dieser "Des Helden Gefährtin“ betitelte Teil fast die Dimension eines eigenständigen Violinkonzerts (das sich dann später, gegen Schluss, im Dialog zwischen Violine und Horn zu einer Art Doppelkonzert ausweitet). Wer gemeint hatte, dass Celibidache seine berüchtigte Kollegenschelte jüngsten Datums anhand von Straussens Abrechnung mit den Kritikern nun auch auf diese anderen Vertreter der Zunft erweitern würde, sah sich enttäuscht oder erleichtert: Celibidache scheint eine eher harmlose Vorstellung von den Kritikern zu haben (richtiger ist wohl, dass er sie nicht ernst nimmt).

Dass die Virtuosen der Radio Sinfoniker bis hin zum Paukisten und Beckenschläger ausgiebig Gelegenheit erhielten, ihre Künste zu demonstrieren, versteht sich von selbst (und da möchte man doch auch dem Englischhornspieler ein ganz großes Kompliment machen) wie auch die Tatsache, dass sie diese Gelegenheit auch nutzten und von ihrem geheimen Chef und vom Publikum dafür am Schluss gebührend gefeiert wurden. Aber der Gewinn dieser "Helden leben" Aufführung war doch, dass sie das Stück zwar nicht gerade für Straussens Katalog von Kammermusikwerken reklamierte, aber doch seiner fatalen wilhelminischen Rhetorik so weitgehend entkleidete, dass man fast so etwas wie eine „Phantastische Sinfonie" der Jahrhundertwende zu hören meinte.

Horst Koegler in der Stuttgarter Zeitung zum Konzert am 18. 02. 1980
Rimsky-Korssakov "Scheherazade"

"Scheherazade" sodann, Rimskys vierteilige Orchestersuite aus "Tausendundeiner Nacht", in ihrer gleißenden und prunken den Farbenpracht, mit den sinnverwirrenden Klängen des Orients aus den Zeiten, da Persien noch der Inbegriff für süßeste Verlockungen und wollüstigste Ausschweifungen war: Celibidache und seine Stuttgarter musizieren sie weniger als einen fabulierüberschwänglichen Abenteuerroman denn als eine Miniaturenfolge und hohe Schule der Orchestervirtuosität (lassen da dann aber doch gelegentlich an Einsatzpräzision und Klangbalance zu wünschen übrig). Eine Interpretation, der Bakst und die Ballets Russes mitsamt ihrer ganzen, so unwiderstehlichen schwülstigen Fin-de-siècle- Dekadenz weltenfern sind. Eine Glanzausstellung moderner Orchester(fast)perfektion in feinstem Technicolor, vom Publikum enthusiastisch akklamiert. Wer fragt da noch nach Kultur? Die Zeiten haben sich seither gründlich gewandelt.

Oder kann man sich heute noch eine, sagen wir: Farah Diba vorstellen, die imstande wäre, einen Ayatollah Khomeini davon abzuhalten, sie zu töten, und wenn sie ihm auch tausendundzwei Nächte lang, die wunderschönsten Märchen erzählte?

 

Horst Koegler in der Stuttgarter Zeitung zum Konzert am 29. Februar 1980
Debussy Iberia

Debussy hat von Spanien zwar nur ein paar Stunden lang San Sebastian zu Ge sicht bekommen, aber wie lebt, wie pulsiert, wie tanzt Spanien in seiner "Iberia"! Mit dem leicht ordinären Gesang der Klarinetten über dem unerbittlichen Sevillana  Rhythmus von Kastagnetten und Tamburins   in den fetzenhaft vorbeidriftenden Melodien, dann, in den "Düften der Nacht", im Schwirren und Sirren der sich kräuselnden Holzbläser und Glissandi, gegen die sich die Streicher habanerastolz auflehnen, während ferne Glocken und gestopfte Trompeten zu den Festivitäten des folgenden Tages locken, wo getanzt und gesungen wird, zu dem quasi guitarra der unterm Arm gehaltenen Violinen und Bratschen, wo ein Klarinettist überschnappt und ein Fiedler glaubt, er befände sich mitten in Strawinskys "Geschichte vom Soldaten"... Und das alles gesteigert, unaufhörlich gesteigert und noch einmal gesteigert..., vif et nerveux!

Wenn die Stuttgarter Wiedergabe mehr a la espagnole als en espagnol klang, so lag das daran, dass Celibidache die Weichzeichnungs- statt der Hardedge -Methode benutzte. Die bewirkt hier zwar wunderschöne Soli, elegante Phrasierungen, im zweiten Teil auch eine geradezu greifbare Verdichtung der schwülen Nachtatmosphäre. Doch solche Art von Pointillismus raubt den Stücken ihren Drive, ihre Elastizität, ihren "kosmischen Rhythmus". Sie lösen sich auf in eine Wolke von Parfüm, während Debussy doch de Falla hat es ihm mit höchstem Respekt bestätigt reines marc d‘Espagne komponiert hat.

Jürgen Hiller in der Pforzheimer Zeitung zum Konzert am 11. November 1982
Strauss Tod und Verklärung

... Celibidache ist hier der Mann des Rhythmus’: eisern, scharf und in den Punktierungen knapp. Die Triolen der Stringento- und Apassionata Passagen kommen im Mittelteil in hellen, scharfem schlank pointierten Klang. Das “Per aspera ad astra” - Thema steigt schon in der Unisono-Andeutung nebensächlich auf und verdichtet sich damit auch im bewusst flüssig gehaltenen Endzitat ohne die sonst übliche Weihe auf.

 

Horst Koegler in der Stuttgarter Zeitung zum Konzert am 24. November 1980
Bruckner Sinfonie Nr. 3

Um so kolossalischer türmt Celibidache die Blöcke und Quadern von Bruckners „Wagner Sinfonie": ein dirigierender Michelangelo im Steinbruch des Radio Sinfonieorchesters. Gigantesk geradezu die apokalyptischen Blechbläser Warnrufe. Äußerster Gegensatz dazu das zwielichtige Wispern der Streicher in den rondoartigen Rollfigurationen des Scherzos. Klanglich delikatest ausziseliert das mozartsche Misterioso der Marien Kadenz im Adagio. Prägnant ausgehört und gegeneinander gesetzt auch die schon ein wenig melancholisch eingetrübte, leicht mahlerisch gebrochene Violin Polka zum Trauerchoral der Bläser im Finale   so unverkennbar österreichisch in seiner Gebrochenheit am Ende des Jahrhunderts.

Gleichwohl: mussten sich auch die Radio Sinfoniker wiederum für die sattsam bekannte dritte Werkfassung von 1889 entscheiden? Und das gerade während sich mehr und mehr die Erkenntnis durchsetzt, dass Bruckners Frühfassungen mit ihrer eigenwilligen Querköpfigkeit in mancher Weise für uns wieder interessanter, herausfordernder, nachdenkensanregender sind als die später dann dem Konzertbetrieb zuliebe vorgenommenen Bearbeitungen und Beschwichtigungen? Was für eine Gelegenheit für Celibidache, sich an der ersten Fassung von Bruckners Dritter mit ihren zahlreichen direkten und verschlüsselten Wagner Zitaten als Geheimtipp unter den Wagner Dirigenten unserer Zeit zu empfehlen ein Dirigent der den Konzertsaal zu seiner imaginären Wagner Bühne macht! Doch auf die Chance scheint ihn niemand hingewiesen zu haben. Und so wurde sie denn auch prompt verpasst.

 

Jürgen Hiller in der Pforzheimer Zeitung zum Konzert am 26. November 1974
Bruckner Sinfonie Nr.5

Unter allen Sinfonien Bruckners schien lange Zeit die Fünfte als die am wenigsten innerlich geschlossene vielleicht gerade wegen der kunstvollen formalen und thematischen Verklammerungen der vier Sätze. Sie wirkt weniger kunstvoll als künstlich, wenn es dem Dirigenten nicht gelingt, Sinnzusammenhänge so herzustellen, dass sie nahezu den Charakter des Spontanen annehmen. Selbst Franz Schalk riet Bruckner zur Uraufführung 1894 zu großen Strichen, um das Werk dem Hörer verständlicher zu machen. Doch die Erstfassung wurde wiederentdeckt und man gab der Urfassung in den letzten Jahren doch den Vorzug.

Sergiu Celibidache belehrte darüber bei seinem letzten Mietkonzert mit dem Stuttgarter Radio Sinfonie Orchester darüber, dass nicht Pathos und Auskosten der Effekte zu solcher wie "aus einem Guss“ wirkenden Spontaneität hinführen, sondern nur peinliche Befolgung der Partitur. Jedes korrigieren der oft harten Anweisungen im Interesse vermeintlichen Schönklangs führt unweigerlich zurück zur Ideologie der Retuschen, die einst Schalk vertrat.

Celibidache hat die Fünfte wiederentdeckt! Dynamische Nuancen erreichen durch Texttreue höchste Wirkung; den Streichern fordert Celibidache jene Artikulation ab, die nur durch die exakte Befolgung einzelner Vorschriften erzielt werden kann; allmähliche Tempoänderungen werden dem Duktus der Musik nicht aufgedrängt, sondern logisch entwickelt; er hält grundsätzlich am festen Metrum fest, ohne dass dieses zu ungerechtfertigter Überdehnung der Generalpausen führt. Ein Gelingen einer solchen Wiedergabe ist gewiss nur mit intensiver Arbeit und einem hochqualifizierten Orchester wie das Stuttgarter RSO möglich, das sich quasi bis zur Aufopferung den Intensionen Celibidaches hingab.

Bringt man diese Fünfte" in Zusammenhang mit den bereits zur Aufführung gebrachten Werken Bruckners, so muss ohne Abstriche als Fazit festgestellt werden: Sergiu Celibidache ist der bedeutenste Interpret Bruckners unserer Zeit.