Uraufführung
Mit des Meisters Geist
Erfolgreiche Aufführung von Celibidaches "Der Taschengarten"
durch die Junge Münchner Philharmonie unter Mark Mast
Totengedenktage müssen
keine Trauertage sein, sie können auch Freudenfeiern
werden. Wenigstens wenn sich, wie bei Sergiu Celibidaches
zehntem Todestag, sein künstlerisches Vermächtnis
als lebendige Gegenwart erweist. Schon der Bayrische
Rundfunk hatte mit einem ganzen Tag auf das Hommagekonzert
im Herkulessaal eingestimmt. Man war gespannt, den
strengen Orchestererzieher und eigenwilligen Musikphänomenologen
nun als musikalischen Märchenerzähler kennen zu
lernen.
„Der Taschengarten“ heißt Celibidaches einzige öffentlich bekannte Komposition - seine Sinfonien etwa harren noch der Aufführung -, die sich als kapriziöse Suite „für Kinder, die keinen Garten haben“ entpuppt. In 13 kleinen Geschichten erzählt er vom Meister Wind, vom Enterich, von schwirrenden Ahornsamen und alten Tannen, von Käfertänzen, vom singenden Fisch und von verlorenen und wiedergefundenen Igeln.
Wer aber vermutet hatte, hier würde der Maestro kindisch, irrt gewaltig. Er erweist sich komponierend als der gleiche Orchestermagier wie einst am Pult. Man staunt über ein ausgefülltes Kompendium orchestraler Instrumentationsfinessen, die aus dem Musikmärchen eine höchst originelle Konkurrenz zu Ravel oder Milhaud machen. Vom schrägen Ragtime-Geklimper über das verquakte Blech in „Enterichs Predigt“, von einem quint-quatigen Ahornsamenreigen bis zum Walkürenritt des „Besenhengstes“, von der Streicherelegie bis zur Igel-Trilogie wechseln Klangwitz mit Lyrik, Farbenspiele mit Bombast. Allerhand schmunzelnd ironisierte Verstöße gegen Lehrbuchregeln verwandeln sich von Dissonanzen in ausdruckstarke Pointen bis zu Anklängen an Igor Strawinskys „Geschichte vom Soldaten“ bei der Episode mit der Gieskanne, in die es hineinregnet.
Celibidache Schüler
Mark Mast hatte die Junge Münchner Philharmonie
zu erstaunenswerter Klangkoloristik und Präzision
gesteigert, mit den Mitgliedern des fabelhaften
Henschel-Quartetts in strategischen Positionen.
Gut die Idee, bei dieser Erstaufführung Celibidaches
Texte zu den Stücken sprechen zu lassen. Im zweiten
Teil des Konzerts, bei Bruckners 8. Symphonie setzte
Mast allerdings mehr auf Strukturstärke als auf
magische Aura. Sehr respektabel die Koordination,
donnernd die c-moll Forti, gelungen die Steigerungszyklen.
Doch erst vom dritten Satz an stellte sich etwas
vom Bruckner-Geist des unvergessenen Celibidache
ein. Jubel.
Klaus P. Richter, Süddeutsche
Zeitung
Nervöser
Enterich
Sergiu Celibidaches "Taschengarten"
Von fliegenden Fischen hat man ja schon gehört. Aber singende Fische? Auch die gibt es. Nun ja, zumindest in Sergiu Celibidaches "Taschengarten", den auch sonst so manch seltsames Getier bevölkert. Der Name des rumänischen Dirigenten ist gerade in München auch zehn Jahre nach seinem Tod noch in den Herzen der Konzertbesucher lebendig.
Doch daß Celibidache auch als Komponist aktiv war, dürfte bislang wohl nur den wenigsten ein Begriff sein. Um so verdienstvoller, daß nun die Junge Münchner Philharmonie im Gedenken an den legendären Maestro dessen "Taschengarten" zur Aufführung brachte, der damit erstmals öffentlich in einem Konzert zu erleben war.
Vor den Ohren der Zuhörer öffnete sich dabei ein klingender Garten. In ihm tummeln sich neben singenden Fischen auch zwei frisch verliebte Igel oder ein nervöser Enterich, dessen schnatternde Predigt von Celibidache ebenso prägnant und humorvoll in Noten eingefangen wurde wie die Stimme des Windes, deren flirrende Streicher an die Tonsprache eines Ravel oder Debussy erinnern.
Nach dem Komponisten war der zweite Teil des Abends dem Interpreten Celibidache gewidmet, in dessen Leben die Symphonien Bruckners stets eine herausragende Rolle gespielt hatten.
Vergleiche mit der
Interpretation des Vorgängers wären bei der hier
zu hörenden "Achten" dennoch ebenso unfair
wie unangebracht. Zumal es Dirigent Mark Mast durchaus
gelang gemeinsam mit seinem engagiert aufspielenden,
jungen Orchester einen eigenen Zugang zu diesem
monumentalen Werk zu finden. Lediglich im feierlich
langsamen Adagio schien der große Celi seinem ehemaligen
Schüler kurz über die Schulter zu blicken, ihn zu
mehr Ruhe und zum Verweilen zu ermahnen. Doch auch
im Konzertleben bleibt die Zeit nicht stehen, bringen
neue Generationen von Künstlern neue Ideen. Vergessen
wird man Sergiu Celibidache aber trotzdem nie. Ob
nun als Dirigenten, Lehrer oder eben jetzt auch
als Komponisten.
Tobias Hell, Münchner Merkur
Im Vermächtnis von Celibidache
Bruckners «Achte» im engen Klostersaal von Seeon: Mußte das nicht die Mauern sprengen? Ganz nah erlebte der Zuhörer im Abschlußkonzert der Sommerakademie, wie die «Junge Münchner Philharmonie», ein Orchester aus jungen Musikern und Studenten, sich das Werk zu Eigen machte.
Es mußte nicht einem Dirigenten wie Thielemann vorbehalten bleiben, solch musikalisches Monstrum auf die Hörner zu nehmen. Mit Mark Mast als Dirigenten, selbst Schüler des berühmten «Celi», sollte für den Besucher des Abschlußkonzerts von Seeon eine Premiere junger Musiker ebenso aufregend sein wie eine Veranstaltung bekannter Routiniers. Und so begab man sich mitten hinein in die Kunstschmiede von Seeon, lernte - auch mithilfe eines sehr informativen Programmtextes -, wie diese Musik quasi von innen her klingt.
Schon am Vortag hatten die Blechbläser Proben ihres Könnens an ausgewählten Ensemblesätzen als Einspielung in die vertrackten Blechbläserpassagen der Symphonie geboten, und diese wurden nun bravourös bewältigt. Indes, dem Holzbläserchor fehlte es in den zarteren Passagen noch an Leuchtkraft. Doch wohl nur ganz wenigen Dirigenten und Orchestern ist es vergönnt, dem bärbeißigen Bruckner Schubert'sche Innigkeit oder Geschmeidigkeit in den Tempoübergängen zu verleihen. So hatten die vielen Generalpausen noch wenig Leben, weil die darauf folgenden Einsätze nicht immer überzeugend kamen.
Mark Masts Konzept waren in diesem gewaltigen Werk vor allem die großen Blöcke, die orgelhaften Schichtungen der Klänge. Und im berühmten langsamen Satz zeigte er alles: Abgrundtiefe, Streichersüße, Steigerungen, und daß das Adagio länger ist als jede Mozart-Symphonie: Man vergaß dies beim Zuhören und verzieh, daß der letzte Satz auf der Stelle trat. Kein Wunder, denn damit hat jeder Dirigent bei Bruckners Finalsätzen zu kämpfen, und so hätte der «Celi» dem Schüler und dessen Seeoner Unternehmen gewiß seinen Segen gegeben.
Und eben zur Feier des zehnten Todestags dieses Mannes hatte es am Vortag eine Uraufführung zu hören gegeben: den «Taschengarten», ein Geschenk des Dirigenten an die Kinder Christoph, Markus und Monika Henschel, die jetzt als Streichquartett zusammen mit dem Cellisten Mathias Beyer-Karlshoj im Orchester als Stimmführer agierten. Der große Celibidache, welch herrlicher Kindskopf, entpuppte sich da! Welch liebenswerte Fantasie, den Kindern, die keinen Garten haben, die Impressionen des Landlebens und ihre Spielschublade zu liefern!
Die Besucher ließen sich mithilfe einer Sprecherin in die Kinderwelt versetzen: in den Gesang der Tulpen - liebliche Klangflächen, aus denen verhaltenes Dur hervorleuchtete -, in die Predigt des Enterich - ein Dreiertakt, mit quäkenden Synkopen durchsetzt -, in den Käfertanz, in Fisches Nachtgesang, in den Besengalopp. Dann die düstere Tanne, die vergebens dem Himmel zustrebt, bis sie in musikalisch-tragischer Gebärde die Nadeln fallen läßt: Strawinskys Psalmensymphonie kam in Erinnerung. Die Trauer um den verschwundenen Igel, der wieder auftaucht - zu zweit. Und dann der Regen: wilde, aus dem Rhythmus strebende Tropfen, die zum rauschenden Wasser werden, das dem Ursprung zustrebt.
Celibidache war als Dirigent wohl mit allen Wassern der Instrumentierkunst gewaschen. So war die Musik durchwegs in eine Art irisierenden Klangteppich getaucht, der die Motive gerade noch durchschimmern ließ. Ostinate Rhythmen führten dieses Werk in die Nähe des Balletts, und wie gut konnte man sich den «Taschengarten» getanzt vorstellen!
Die Spieler der Jungen
Philharmonie hatten sichtlich Freude am großen Experiment
dieses Sommers, das sie unter der Leitung ihres
Dirigenten mit Bravour absolvierten.
Von Robert
Engl, Oberbayrisches Volksblatt