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Klaus Umbach über Celi



Weder Weihwasser noch Guillotine

Gespräch mit Klaus Umbach, der sich als Biograph von Sergiu Celibidache vorstellte

Der Fliegende Holländer in L A.

SPIEGEL - Redakteur Klaus Umbach über den Münchner Generalmusikdirektor Sergiu Celibidache

 

Weder Weihwasser noch Guillotine

 

Klaus Umbach, den Feuilleton-Lesern normalerweise als unbarmherziger Spiegel - Rezensent bekannt, schreibt auch gerne böse Bücher. So wartete man mit Spannung, wie der gelernte Jurist mit dem Phänomen Sergiu Celibidache umzugehen wusste. Auf 336 Seiten ist nun nachzulesen, wer wen mehr beeindruckt hat. Das Buch „Celibidache - der andere Maestro" (Piper Verlag), wird am Donnerstag vorgestellt.

SZ: Wie haben Sie es geschafft, daß der Künstler Celibidache dem Magazinreporter Umbach vertraut?

Umbach: Ich fuhr mit auf Tournee und erzählte Celi beim Mittagessen von meinem Vorhaben. Er zeigte sich zwar nicht übermäßig interessiert, aber er war offen dafür und gab mir oft Gelegenheit zum Gespräch. Einzige Bedingung: kein Tonband. Zunächst hatte es eher den Charme eines Verhörs, aber nach einiger Zeit lief es doch recht entspannt. Ich habe ja auch keinen Heiligen gemalt, aber ich habe mich auch oft zurückgehalten. Dafür zitiere ich ausführlich andere Positionen. Andererseits gab er sich große Mühe, mir seine Musikphilosophie zu vermitteln, die mir aber nicht einleuchtete.

Nach ihrer „Geldscheinsonate" hätte man erwarten können, daß Sie auch auf den Alten, wie Sie ihn nennen, das journalistische Fallbeil niedersausen lassen. Warum haben Sie ihn geschont?

Ich sah keinen Grund, den Alten zu schlachten. Ich wollte hier gerade einmal weg vom Spiegel - Hammer, mit dem man auf die Leute eindrischt. Ich habe dafür genügend abweichende Positionen zitiert, so daß sich der Leser selber eine Meinung über Celi bilden kann. Ich habe weder die Guillotine benutzt noch das Weihwasser gerührt. Ich wollte einfach mal wissen, was der Mann nach Berlin und vor München eigentlich gemacht hat. Das war zunächst mehr journalistisches Interesse als allgemeine Begeisterung. Es hat mich auch interessiert, diesen Menschen kennenzulernen, über den die Meinungen in beiden Richtungen so extrem auseinandergehen. Aber er wird ja auch selbst manchmal ausfallend.

Gibt es Gemeinsamkeiten des „Gurus" Celibidache mit dessen indischem Guru Sri Sathya Sai Baba, zu dem ja auch der Ex-Beatle George Harrison - Sie nennen ihn Rex - „anhimmelnd aufblickt"?

Er hat natürlich etwas Guruhaftes, vielleicht ist es auch von seinem Guru übernommen. Man kann sich einer gewissen charismatischen Wirkung schwerlich entziehen. Die muß einen aber nicht blind machen. Denn auf der anderen Seite gibt es diesen indischen Guru, und nicht nur zu dem, sondern auch im Verhältnis zu Politikern zeigt sich plötzlich seine große Autoritätshörigkeit. Ich halte ihn auch nicht gerade für einen Demokraten. Allerdings hat er mehr Ausstrahlung auf mich als sie etwa Karajan hatte.

Hatten Sie denn nach den vielen Treffen mit Celibidache noch die nötige journalistische Distanz?

Es ist natürlich gefährlich, sich einem Künstler so weit zu nähern, daß eine geradezu familiäre Atmosphäre entsteht. Ich habe das bisher auch nie getan. Ich habe allerdings wirklich nur Dinge verschwiegen, bei denen der Informantenschutz nicht gewährleistet ist, oder Zitate Celibidaches, die ihm selber schaden. Es sind sehr private Dinge, die nichts Maßgebliches zu dem Gesamtbild beigetragen hätten. Aber wenn ich mit Celibidache am Frühstückstisch sitze, und er mich als seinen Gast bedient, dann entsteht da natürlich eine Intimität, der man sich nicht entziehen kann. Er ist, wie immer man ihn einschätzt, eine sehr imposante Figur. Möglicherweise hat er mich doch ein wenig beeinflußt in dem, was ich über ihn schrieb. Die oft zynische Distanz des Tagesjournalismus hatte ich jedenfalls in diesem Falle nicht mehr.

Warum studierte er denn als Rumäne während des Dritten Reiches in Deutsch land?

Ich berichte ja über diese Wahrsagerin, die ihm Glück in Deutschland verheißen hat. Ich habe oft nachgebohrt, wie er zum deutschen Faschismus stand. Er lebte schließlich in Berlin, wo gleichsam Auschwitz inszeniert wurde. Und er stammt ja aus einer Gegend, in der sehr viele Juden leben; für die sich sein Vater übrigens sehr eingesetzt hat. Ich habe versucht, Celibidaches Konflikt zwischen einem gleichsam naturgegebenen Philosemitismus und seiner Existenz in der faschistischen Hauptstadt Berlin zu klären. Ich habe nichts herausgefunden. Vielleicht hat er in Deutschland außer Musik einfach nichts wahrgenommen.

Sie schreiben, Celibidaches Konzerte sind inzwischen eher Hochämter. Kommen die Leute zu Celi gleichsam in Gebetshaltung?

Na ja, das war ja bei Karajan auch nicht anders. Vielleicht war etwas mehr Geld im Spiel. Doch die Salzburger Szenen waren an Peinlichkeit mindestens genauso schlimm. Aber natürlich: Wenn man diesen Troß von Celi - Groupies auf den Tourneen sieht, dann kann man sich nur schütteln. Vor Lachen oder vor Entsetzen. Auch was seine Schüler angeht: Celi sagt ja selber, daß seine ganze Arbeit nichts genützt habe; daß er bisher keinen Schüler hervorgebracht habe, der erbfolgewürdig wäre.

Süddeutsche Zeitung 15.02.1995

 



Der Fliegende Holländer in L A.

SPIEGEL - Redakteur Klaus Umbach über den Münchner Generalmusikdirektor Sergiu Celibidache

Wie er mit schwerem, schaukelnden Schritt auf die Bühne kommt, sich auf einer Stuhllehne oder der Schulter eines Musikers abstützt und mit muffiger Miene ans Pult tastet - das könnte glatt der alte Liszt sein.

Wie bei dem greisen Abbé fallen die weißen, kinnlangen und pomadig zu Strähnen gebündelten. Haare bei jeder Kopfbewegung wie Stores um die Wangen. Doch während Liszt, der Virtuose mit den niederen Weihen, gütig in die Welt sah, mustert Celibidache die Menschen meist mißtrauisch. Schräg von vorn betrachtet, hat sein Gesicht mit den scharfen Furchen und den entschieden nach unten gezogenen Mundwinkeln den sauertöpfischen Charme einer betagten Indianerin.

So, als imposantes Fossil, tritt er auf, und so, als exotisches Kultobjekt, will er wohl auch gesehen werden: Sergiu Celibidache, 76, Tsche-li-bi-daa-ke gesprochen und „Celi" genannt, der letzte Häuptling aus dem Reservat der erzromantischen Kapellmeister.

„Brahms will ich deutsch und breit gesungen, nicht gepfiffen und nicht gezischt", belehrt der geborene Rumäne in aufgerauhtem Baß die Münchner Philharmoniker, denen er seit 1979 als Generalmusikdirektor vorsteht. Gemeinsam sind sie seit Anfang April auf Tour:14 Konzerte in USA und Kanada, das bislang wohl wichtigste Auslandsunternehmen von Orchester und Chef. Wenn überhaupt, dann können Maestro und Tutti hier, publizistisch und propagandistisch, in den Adelsstand der so genannten Weltklasse erhoben werden.

Die Präludien zur Nobilitierung sind gut gelaufen. Mitte November waren Celibidache und die Philharmoniker als erstes bundesdeutsches Groß-Orchester auf Konzertreise in Israel. Nur zwei Wochen zuvor hatten sie in Moskau beim Gipfel aufgespielt, der Chefdirigent hatte mit Bundeskanzler Kohl so gar an Gorbatschows Tafel speisen dürfen. Demnächst fahren sie auf Staatsvisite nach Bonn, 40 Jahre Bundesrepublik: Zur Feier des Tages und des Ortes gibt es Beethoven. Man hat den prominenteren philharmonischen Rivalen aus Berlin also gleich dreimal in die Suppe gespuckt, und Celibidache hat, nebenbei, dem ungeliebten Kollegen Karajan den repräsentativen Alleinvertretungsanspruch vermasselt.

Am Tag nach dem ersten Tournee-Auftritt im Music Center von Los Angeles bedankt sich Celibidache „für das Konzert gestern Abend". „Aber wir können", rügt er mit Recht, „noch sehr viel besser spielen", die Brahms - Vierte war ihm zuwenig deutsch und gesungen.

Er war sauer und seine Miene auch. „Es tut mir leid, daß ich so ausgesehen habe", entschuldigt er sich nun für sein grantiges Image vor dem ganzen Orchester. „Ich hatte einfach zu wenig Selbstbeherrschung, um meinen Ärger zu verbergen." Die gut 100 Musikerinnen und Musiker unter ihm lächeln: Ach, Celi, geschenkt.

Dann, wiewohl mit Dämpfer, die Standpauke: „Wir müssen einfach noch viel besser spielen, wenn wir an die Weltspitze wollen." Schon am gleichen Abend machen sie vor, daß sie das schaffen können, und geben mit Bruckners Vierter ein Traumkonzert.

Eigentlich unverschämt wenig Musik fürs Geld: normalerweise gut eine Stunde Spielzeit, kaum abendfüllend. Aber Celibidache legt kräftig zu, indem er monumental verlangsamt: Das Stück dauert auf einmal 85 Minuten, wuchert in himmlische Überlängen aus, und das vor kalifornischen Zuhörern, die solche Breitseiten aus Bruckners orchestraler Riesen-Orgel nun wirklich nicht gewohnt sind. Es gibt Standing Ovations.

Da fassen sich nicht nur die Amerikaner an den Kopf: Ist dieser damned old guy mit dem unaussprechlichen Namen vielleicht nicht ganz bei Trost, ist er, so auch die Alternative der „Los Angeles Times", ein „Heiliger oder ein komischer Heiliger":

Dabei liegt Celibidache eigentlich längst als Legende in der Ablage - ein Widerspruchsgeist in eigener Sache: Er versteift sich auf orchestrale Perfektion, verachtet aber das Medium Schallplatte, wo diese Perfektion die Regel ist; und das nur, weil er das „hehre Mysterium" Musik nicht wie einen Pfannkuchen platt pressen lassen will. Er treibt einen bizarren Klangfetischismus und mutet seinen Verehrern den schäbigen Sound irgendwelcher Raubpressungen zu. Er meidet nahezu alle Festspiele, begnügt sich mit einem kleinen Repertoire und schimpft die Oper in Acht und Bann: Sie sei „keine Musik", sondern allenfalls „eine Gattung, in der auch Musik vorkommt".

Nur mit den Proben aast er: Acht, zehn, auch mehr setzt er an und führt er durch, ein Vielfaches der Norm, eine luxuriöse Marotte, die Celibidache für die meisten Orchester unbezahlbar macht. Seine Verpflichtung zum Chef des Israel Philharmonie Orchestra scheiterte vor Jahren auch an seinen diesbezüglich happigen Wünschen. Für sein (fast unbemerkt gebliebenes) US-Debüt vor fünf Jahren wählte er keinen der etablierten und prestigeknalligen US-Klangkörper, sondern ein Studentenorchester, mit dem er - in theoretischer und praktischer Unterweisung -machen konnte, was er wollte. Und er wollte drei Wochen lang sechsmal die Woche zwei Stunden täglich.

„Das bißchen, das ich weiß", kommentierte Celibidache die Exerzitien, „wollte ich den jungen Leuten vermitteln, bevor sie der Mafia der amerikanischen Musik-Interessen in die Hände fallen." Mit derlei Wahrheiten hat sich Celibidache schon immer Freunde gemacht

Wenn die Karajan-Kultur, dieses multimedial geschmierte Laufwerk der Musikindustrie, einen unerschütterlichen und unbestechlichen Gegenspieler hat, dann ist es Celibidache, dieses er frischend öffentliche Ärgernis mit dem langen Leporello voll frechem Unflat:

Karajan? „Schrecklich. Entweder ist er ein guter Geschäftsmann, oder er kann nicht hören." Hans Knappertsbusch - „ein Skandal", „Unmusik bis dorthinaus". Arturo Toscanini - „eine reine Notenfabrik". Theodor W. Ador no - „der größte Schwätzer der Weltgeschichte". Karl Böhm - ein „Kartoffelsack", dirigierte „noch keinen einzigen Takt Musik in seinem Leben".

Leonard Bernstein und Zubin Mehta „kommen in meiner Welt nicht vor". Riccardo Muti ist zwar „begabt, aber ein enormer Ignorant". Und Mutis Landsmann Claudio Abbado? „Ein völlig unbegabter Mensch. Eine Qual. Drei Wochen ohne Essen würde ich überleben. Drei Stunden in seinem Konzert - Herzinfarkt"

Auch wenn Celibidache, etwa beim Schleswig-Holstein Musik Festival, junge Instrumentalisten unterrichtet oder an der Mainzer Universität über „Phänomenologie der Musik", sein Steckenpferd, doziert, nimmt er keine Hand vor den Mund.

Zu einem Studenten in Mainz: „Wann bist du geboren? Warum kommst du erst jetzt?" Zu einer Schülerin: „Fragst du immer so dumm?" Ein junger Instrumentalist verpatzt seinen Einsatz: „Warum kommst du zu spät? Wegen Rheuma?" Ein anderer bedient seinen Triangel etwas grob: „Schlägst du mit einem Suppenlöffel?"

Natürlich hat die Branche an derlei Schimpf und Spott ihre Schadenfreude, und in dem sonst so taktvollen Konzert der Kulturträger, wo zumindest öffentlich eine Krähe der anderen nur Loblieder pfeift, bleibt Celibidache das Schandmaul mit dem Giftzahn.

Nur: Er will mit seinen Sottisen nicht bloß Dampf ablassen und ein bißchen antikollegial stänkern, nein, er ist tat sächlich davon überzeugt, hoch über dem Bodensatz des gemeinen Interpretentums zu schweben - weil nur ihm die große Erleuchtung zuteil wurde.

Schon mit zwölf, das behauptet Celibidache jedenfalls heute, sei er, der Sohn eines griechisch-orthodoxen Präfekten aus Roman, mit fernöstlichen Heilslehren in Berührung gekommen. Um eingeweiht zu werden ins Glasperlenspiel, versenkte er sich in den Zen-Buddhismus, hielt sich eine Zeitlang regelmäßig in indischen Klöstern auf, ernannte sich zum Neuen Gnostiker, zum Schüler von Sai Baba und zum Jünger des deutschen Gurus Martin Steinke.

„Indem ich meine Klangerfahrungen und die in diesen Erfahrungen fundier ten Einfühlungen fremder Subjektivitäten transzendiere, erreiche ich die Stufe objektiver Gültigkeit, das heißt, die intersubjektive Betreffbarkeit." Mit anderen Worten: Musiker sollten nicht reden.

Er steht auf dem Podium, „um alle Elemente zu vereinen": „Ich muß da sein, aber ich bin nicht da." Vielmehr „bin ich da, weil ich nicht da bin". Oder, anders ausgedrückt: „Ich bin am Anfang und am Schluß. Wo also bin ich?" Eine gute Frage: Vielleicht in der transzendierenden Grauzone zwischen Genie und Scharlatanerie oder abgehoben auf dem Schaumstoff einer Privat-Religion oder doch mit beiden Beinen auf der Basis von Toccaten und Kontrapunkt?

Seine Karriere begann als Nachkriegskrimi. Am 23. August 1945 wurde in Berlin der Dirigent Leo Borchard auf offener Straße von einem amerikanischen Besatzungssoldaten erschossen. Damit verlor das Berliner Philharmonische Orchester den Mann, der während des Auftrittsverbots von Wilhelm Furtwängler den Chef spielte.

Als Ersatzmann des Ersatzmannes kam Celibidache an die Macht, gerade 33. nach dem Studium von Mathematik, Philosophie und Musik fast noch ein unbeschriebenes Blatt. Sechs Tage nach Borchards Tod stand er, nach eigener Aussage „politisch eine Jungfrau" und mit einer Lizenz für alle vier Besatzungszonen legitimiert, erstmals am Pult der Berliner Philharmoniker.

Was heißt: stand? Für Celibidache war die Ernennung eine Aufforderung zum Tanz. Mit virtuosem Temperament drehte er auf dem Podium seine Pirouetten, sprang in die Luft, wiegte die Hüf ten, streckte die Arme wie ein Erlöser himmelwärts und schwang den Takt stock mal als Steuerknüppel für philharmonische Höhenflüge, mal als Räucherstäbchen für die symphonische Trance, allemal als Prügel über den ausgemergelten Musikern, die ihm bei ihrer Knochenarbeit widerspruchslos parieren mußten. Aber die Berliner Damen konnten einfach nicht genug kriegen von diesem faszinierenden Vibrator mit seinen schwarzen Locken.

Insgesamt 414mal hat Celibidache die Philharmoniker geleitet und für Furtwänglers Comeback auf Zack gebracht und gehalten. Als der deutsche Gralshüter schließlich entnazifiziert auf seinen Posten zurückkehrte, trat der balkanesische Gastarbeiter widerspruchslos ins zweite Glied. Als Furtwängler dann 1954 starb, hat Celibidache sich Chancen ausgerechnet. Vergebens. Die Mehrheit des Orchesters mochte seinen Drill und Stil nicht, einige flüsterten hinter vorgehaltener Hand, er sei ein russischer Spion. Furtwänglers Nachfolger wurde Herbert von Karajan.

Nun war Celibidache ein Dirigent oh ne festen Stehplatz, ein Fliegender Holländer mit dem Trauma des Unerwünschten. Zwar hatte er in Mittel- und Südamerika beachtliche Erfolge, band sich für gewisse Zeiten auch an die Königliche Kapelle Kopenhagen, an das Schwedische Radio-Symphonie-Orchester und, ab 1972, an das Radio-Symphonieorchester Stuttgart. Aber ein letztes, großes Crescendo in dieser Karriere mochte ihm niemand mehr zutrauen.

Auch die 1979 offiziell eröffneten Beziehungen zu den Münchner Philharmonikern, damals noch einem drittklassigen Ensemble, schienen nicht auf Dauer angelegt. Als Ouvertüre verkündete Celibidache, die „Harmonie" zwischen ihm und dem Orchester sei, kaum entstanden, schon wieder „zerstört". War sie dann doch nicht, aber die Stadt mußte bereits abgeschlossene Verträge mit dem von Celibidache runtergeputzten Dirigenten Riccardo Chailly annullieren. Im Juni 1981 gab es dann Krach um einen Hornisten. Celibidache spielte beleidigte Leberwurst und schnappte erst wieder aus, nachdem dem Maestro das „volle Vertrauen der Stadt auf den Tisch gelegt" worden war.

Mit diesem Vertrauen war es dann 1984 wieder vorbei, als sich der von Gicht geplagte und zu Absagen gezwungene Maestro in der Auswahl der Ersatzdirigenten übergangen wähnte: Die „schöne Arbeit" sei „zum Teufel", „sie haben mich begraben oder so was".

So was schlägt sich, so was verträgt sich. Der Meister grollte, die Stadt drohte mit einem Ultimatum, auf einmal war alles gut, und Celibidache trug sich mal wieder selbst auf dem Silbertablett: „So unverschämt das klingt", verlautbarte er ins Rathaus, die Herrschaften möchten einsehen, „daß es für München keine Alternative zu Celibidache gibt".

Die gibt es tatsächlich nicht. In einer Zeit weltweiter Musik-Verwertung, wo nahezu alle Orchester von Rang auf die selbe austauschbare Hochglanz-Politur gewienert werden und nahezu alle Dirigenten von Rang genau dieses Styling wollen, ist Celibidache, dieser Proben-Schinder, Platten-Boykotteur und Glasperlenspieler, ein Solitär aus fernen Zeiten und ein schroffer Fels des Anstoßes.

Sicher, es gibt Musik, die tüftelt er immer noch leicht kaputt, da fummelt er so lange, bis die kompositorische Struktur zersplittert ist und der musikalische Fluß versickert.

Aber bei Bruckners Vierter, die er den Amerikanern bis Ende des Monats noch ein paarmal vorführen wird, ist er ja nicht nur langsamer geworden, sondern wirklich seelenruhig. Vielleicht hat er in München, auf seine alten Tage, endlich das Berliner Trauma überwunden und auch die bittere Einsicht verkraftet, daß von seinen (selbst gezählt) „6000 Schülern" vielleicht keiner das wird, was sich der Lehrer Celibidache erhofft hatte, „eine negative Bilanz".

Dennoch, den Bruckner-Brocken kann er so, wie ein symphonisches Sakrament, eigentlich nur dirigieren, weil er mit sich selbst endlich Frieden geschlossen hat.
Spiegel 16/1989